Die mit Blaulicht und Martinshorn ausgerüsteten Sonderrechtsfahrzeuge gem. § 35 Abs. 1 StVO dürfen von Verkehrsvorschriften abweichen, ohne Blaulicht und Einsatzhorn einzuschalten (OLG Köln NZV 1996, 237; KG VersR 196, 299; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 27 Rn 709). Wählt der Sonderrechtsfahrer die Ausübung des in § 38 Abs. 1 StVO umschriebenen Wegerechtes, begründet erst die gleichzeitige Verwendung von Blinklicht und Einsatzhorn sein Vorrecht (vgl. BGH NJW 1975, 648; KG NZV 2006, 307; Geiger/Zieres, a.a.O., Kap. 27 Rn 751). Erst dann wird der Einsatzwagen als Wegerechtsfahrzeug bewertet, und eine Verpflichtung der übrigen Verkehrsteilnehmer begründet, sofort freie Bahn zu schaffen. Der Fahrer des Einsatzwagens darf erst dann auf die ihm geschuldete freie Fahrt vertrauen, wenn er die Gewissheit ihm gewährter ungehinderter Fahrt gewonnen hat (vgl. BGH NJW 1971, 616; LG Oldenburg zfs 2000, 333, 334). Für die besonders gefahrträchtige Einfahrt des Einsatzfahrzeuges in eine Kreuzung bei für ihn rot zeigender Lichtzeichenanlage, gebietet es der Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer, dass eine Einfahrt in den Kreuzungsbereich erst dann erlaubt ist, wenn der Fahrer des Einsatzwagens sicher beurteilen kann, dass sein Fahrzeug von den an sich bevorrechtigten Verkehrsteilnehmern bemerkt worden ist und ihm freie Fahrt gewährt wird (KG NZV 1992, 456; OLG Düsseldorf NZV 1992, 489; OLG Hamm DAR 1996, 93). Bestehen Zweifel hieran, muss der Fahrer des Einsatzwagens gegebenenfalls anhalten (vgl. KG NZV 2003, 126; KG NZV 2004, 86). Hatte der andere Verkehrsteilnehmer das Martinshorn wegen überlauter Musik in seinem Fahrzeug nicht wahrgenommen und deshalb das Vorrecht des Einsatzwagens nicht beachtet, kann ihn bei der Haftungsabwägung ein überwiegendes bis alleiniges Verschulden treffen. Als Fahrer war er verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, dass er Einsatzsignale wahrnehmen konnte (OLG Düsseldorf VersR 1985, 669). Sorgfaltspflichtverletzungen des Fahrers des Sonderrechtsfahrzeuges können zur Mithaftung bis zur Alleinhaftung führen (vgl. Greger, Haftungsrecht, 4. Aufl., Rn 206; Beispiele in Fn 455).
Die Abwägung der Haftungsanteile bei der Kollision eines Privatfahrzeuges mit einem Einsatzfahrzeug führt häufig zu nicht ganz geklärten Umständen. In diesen Fällen ist darauf zu achten, dass lediglich erwiesene und unstreitige Umstände bei der Haftungsabwägung berücksichtigt werden dürfen (vgl. KG VersR 1975, 955).
RiOLG Heinz Diehl, Frankfurt/M.