VVG § 16 a.F.
Leitsatz
1. Kenntnis eines Versicherungsnehmers von einem grds. anzeigepflichtigen Umstand (hier: Entfernung eines Dickdarmadenoms) liegt nicht vor, wenn der Behandler dem Versicherungsnehmer mitgeteilt hat, es liege "kein Befund" vor.
2. Das Versicherungsunternehmen muss sich in Kenntnis des auf sein Verlangen für die Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses vor Annahme eingeschalteten Arztes zurechnen lassen, der diese Vorsorgeuntersuchung durchgeführt hat, auch wenn der Versicherungsnehmer dem Arzt bei der Erstellung des ärztlichen Zeugnisses dieses Geschehen nicht ausdrücklich mitgeteilt hat, weil seine Vorkenntnisse als Behandler ausreichen.
OLG Celle, Urt. v. 12.6.2008 – 8 U 3/08
Aus den Gründen
“ … Das LG hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass eine derartige Verletzung der Anzeigeobliegenheit nicht vorliegt.
Auf der objektiven Seite hat die Klägerin zwar … wahrheitswidrige Angaben … gemacht, allerdings fehlt bereits auf der subjektiven Seite eine Anzeigeobliegenheitsverletzung (Ziff. 1.). Zudem scheitert ein Recht zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag, weil der Beklagten die zunächst (objektiv) verschwiegenen Umstände über den Arzt als passiven Stellvertreter zur Kenntnis gebracht worden sind (Ziff. 2.).
1. Nach § 16 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsnehmer bei Schließung des Versicherungsvertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Die Anzeigeobliegenheit setzt positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von solchen Umständen im Zeitraum ihrer Erfüllung – bei der Antragstellung – voraus. Demgemäß ist für eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit zunächst maßgeblich, ob der Antragsteller bei Beantwortung von Antragsfragen von durch den Versicherer erfragten Umständen Kenntnis hatte. Solche Kenntnis kann sich für ihn bei erfragten Gesundheitsumständen sowohl unmittelbar aus eigener körperlicher Wahrnehmung ergeben, sie kann ihm aber auch durch Angaben der ihn zuvor behandelnden Ärzte vermittelt worden sein. Ist letzteres der Fall, kommt es nicht darauf an, ob solche ärztlichen Angaben sich im Nachhinein als objektiv zutreffend erweisen oder nicht. Denn § 16 Abs. 1 VVG knüpft die Obliegenheit zu deren Anzeige allein an die Kenntnis des Antragstellers bei Beantwortung der Antragsfragen. Hatte er zu diesem Zeitpunkt nach Maßgabe der ihm offenbarten ärztlichen Einschätzungen Kenntnis von gefahrerheblichen Umständen, obliegt es ihm, sie anzuzeigen, während deren Prüfung und Bewertung Sache des Versicherers ist (BGH VersR 1994, 711). Der Versicherungsnehmer ist mithin nicht berechtigt, die Gefahrerheblichkeit bestimmter Umstände aus seiner Sicht zu beurteilen, sondern gehalten, die ihm gestellten Fragen wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten sowie deren Prüfung und Bewertung dem Versicherer zu überlassen (BGH VersR 2000, 1486).
a) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin objektiv wahrheitswidrig anzeigepflichtige Umstände in dem Versicherungsantrag nicht angezeigt. Die Klägerin hat auf die Frage 5. in dem Antragsformular “Bestanden außerdem in den letzten fünf Jahren Krankheiten, Beschwerden oder Unfallfolgen, sind Sie untersucht worden, auch zahnärztlich?’ geantwortet, es habe Vorsorgeuntersuchungen und Routineuntersuchungen alle zwei Jahre ohne Befund gegeben. Wahrheitsgemäß hat die Klägerin hier zunächst die Vorsorgeuntersuchungen angegeben, jedoch den Befund im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung, nämlich das Vorfinden eines Dickdarmadenoms im Rahmen der Vorsorgecoloskopie, nicht angegeben. Auch wenn das Dickdarmadenom, das sich als gutartig herausstellte, selbst keinen Krankheitswert hatte, letztlich also kein Krankheitsbefund vorlag, wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, dies anzuzeigen, zumal die Entfernung im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung selbst auch mit Beschwerden im Rahmen der Operation und Sedierung einherging.
b) Das Rücktrittsrecht nach § 16 Abs. 2 VVG setzt aber weiter voraus, dass dem Versicherungsnehmer dem Grunde nach die anzeigepflichtigen gefahrerheblichen Umstände bekannt waren und er sie nicht als bloße Bagatellerkrankung ansehen durfte. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Kenntnis des Versicherungsnehmers von dem anzeigepflichtigen Umstand trägt der Versicherer (vgl. BGH VersR 1994, 711. OLG Saarbrücken VersR 2007, 675). Maßgebend ist, welche Kenntnis der Versicherungsnehmer von den erfragten Gesundheitsumständen, sei es infolge eigener Wahrnehmung, sei es infolge Vermittlung durch den Arzt, hatte (BGH VersR 1994, 711). So kann es an der erforderlichen Kenntnis des Versicherungsnehmers von einem offenbarungspflichtigen Umstand fehlen, wenn der Arzt ihm nach der Untersuchung weder eine Diagnose mitteilt noch ein Medikament verordnet und ihm auch keine bestimmten Verhaltensregeln aufgibt (vgl. BGH RuS 1993, 392).
Die Klägerin kannte zwar anhand des Fragenkatalogs der Beklagten das Interesse des Versicherers auch an Vorsorgeuntersuchungen, die sie – wie auch die Zystenentfernun...