FIS-Regel 1: "Grundregel"
Jeder Skifahrer und Snowboarder muss sich so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt.
1) Allgemeines Rücksichtnahmegebot
FIS-Regel 1 stellt nach seinem Wortlaut einen Auffangtatbestand dar und ist die Generalklausel des Regelwerks. Skifahrer haben sich danach aufmerksam und vorausschauend zu verhalten. Regel 1 hilft bei der Beurteilung von Ursache und Schuld, sofern das Schadenereignis auf einen Geschehensablauf zurückgeht, der vom Wortlaut der speziellen Regeln nicht unmittelbar erfasst ist. Da die FIS-Regeln nicht stets mit den aktuellen Entwicklungen im Skisport Schritt halten können, erfährt das "allgemeine Rücksichtsnahmegebot" der FIS-Regel 1 große Bedeutung.
Jeder Skifahrer hat grundsätzlich ein freies Pistenwahlrecht. Der Schwierigkeitsgrad einer Piste ist aber von jedem Skifahrer zu berücksichtigen. Eine Piste, deren Schwierigkeitsgrad über dem skitechnischen Können des Fahrers liegt, sollte nicht oder nur dem Fahrkönnen entsprechend befahren werden. Auf einer steilen Rennpiste kann grds. nur mit Geübten, auf einer leichten Abfahrt muss mit Anfängern und deren Fahrfehlern gerechnet werden.
Ein geübter Fahrer, der die Regeln missachtet, ist aber sicherlich ein höheres Risiko für andere Pistenbenutzer als ein ungeübter Fahrer, der sich regelkonform verhält.
FIS-Regel 1 gilt auch in besonderem Maße im Bereich von Flachstücken, z.B. zwischen einem Pistenrestaurant und einer Liftstation. Das Umfeld von Lifttalstationen ist immer ein neuralgischer Pistenbereich, der für jeden Pistenbenutzer erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht erfordert.
Auch im Bereich, in dem Skifahrer zueinander weder hinten noch oben sind, etwa im Zusammenlauf zweier Pisten, findet FIS-Regel 1 Anwendung. Skifahrer fahren in diesem Fall gleichberechtigt in den Kreuzungsbereich ein; die Straßenverkehrsregel "rechts vor links" gilt nach den FIS-Regeln gerade nicht.
2) Notsturz
Ein Notsturz ist in den FIS-Regeln/Alpin – im Unterschied zu FIS-Regel 7 für Skilangläufer – nicht ausdrücklich geregelt.
Trotzdem ist nach überwiegender Auffassung ein Skifahrer grundsätzlich verpflichtet, sich fallen zu lassen, wenn er eine drohende Kollision anders nicht mehr verhindern bzw. die Wucht des Aufpralls hierdurch reduzieren kann.
Das Regelkomitee hat entgegen den Ausführungen einer Entscheidung des OLG Hamm gerade nicht generell das Bestehen einer Pflicht zur Vornahme eines Notsturzes verneint.
Zur Begründung einer Pflicht zur Vornahme eines Notsturzes ist jeweils auf die Zumutbarkeit im Einzelfall abzustellen. Nur ausnahmsweise ist der Skifahrer vom Notsturz befreit, wenn etwa die Gefahrensituation ausschließlich vom anderen Skifahrer herbeigeführt wurde und das Fallenlassen eine unverhältnismäßige Selbstgefährdung (z.B. Absturz) beinhalten würde.
3) "Quasi-Kollision"
Unter die Haftung nach FIS-Regel 1 fällt auch der Skifahrer, der durch "Quasi-Kollision" einen anderen zu einer Ausweichbewegung zwingt, bei der er sich oder einen Dritten schädigt. In diesen Fällen treten häufig erhebliche Beweisprobleme auf.
4) Fahrtauglichkeit
FIS-Regel 1 erfasst zudem alle Handlungen und Unterlassungen, die in sachgerechtem Zusammenhang zum Skisport zu sehen sind.
So sind Skifahrer nicht nur für ihr fehlerhaftes Verhalten, sondern auch für die Folgen einer mangelhaften Ausrüstung (Skier, Brillenmaterial) verantwortlich.
Ein Skiläufer ist gehalten, die Einstellung der Skibindung durch einen Fachmann zu veranlassen. Gelingt ihm nicht der Beweis einer ordnungsgemäßen Bindungseinstellung, ist die Schlussfolgerung, eine Bindungsauslösung während der Fahrt beruhe auf einer Fehleinstellung, nach den rechtlichen Voraussetzungen des prima facie-Beweises nicht zu beanstanden, solange der Skiläufer keine ernsthafte Möglichkeit eines Konstruktions-, Produktions- oder Materialfehlers dartut.
Schließlich gebietet FIS-Regel 1 den verantwortungsbewussten Umgang des Wintersportlers mit seiner Fahrtüchtigkeit. Daher handelt regelwidrig, wer mit reduzierten geistigen und körperlichen Fähigkeiten – bedingt etwa durch Alkohol, Medikamente, Drogen, nicht ausgeheilte Krankheiten, Übermüdung, mangelnde Höhenanpassung – den Skisport beginnt oder weiter betreibt.
FIS-Regel 2: "Sicht und Geschwindigkeit"
Jeder Skifahrer und Snowboarder muss auf Sicht fahren. Er muss seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anpassen.
Der Grundsatz des Fahrens auf Sicht ist ein allgemeiner und natürlicher Vertrauensgrundsatz bei Bewegungsgeschehen an Orten, wo mit anderen Menschen oder sonstigen Hindernissen gerechnet werden muss.
Skifahrer müssen innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten oder ausweichen können.
Das Gesichtsfeld des Skifahrers umfasst nicht nur die Abfahrtsspur unmittelbar vor den Skispitzen, sondern den gesamten, seinen Augen sich erschließenden Geländeabschnitt. Nach oben braucht er grds. nicht zu schauen, nach rückwärts kei...