VVG § 150 Abs. 1 S. 1 a.F.
Hat der Kfz-Haftpflichtversicherer im Verkehrsunfallprozess gegen den mitversicherten und mitverklagten Fahrer den Vorwurf eines versuchten Versicherungsbetrugs (Unfallmanipulation) erhoben, so muss er den Fahrer im Rahmen seiner Rechtsschutzverpflichtung von den Kosten für die Vertretung durch einen eigenen Rechtsanwalt freihalten, obwohl er ihm als Streithelfer beigetreten ist und sein Prozessbevollmächtigter auf diesem Wege für beide Klageabweisung beantragt hat.
BGH, Urt. v. 15.9.2010 – IV ZR 107/09
Der Kl., am 8.12.2005 Fahrer eines bei der Bekl. haftpflichtversicherten Pkw, fordert als Versicherungsleistung die Erstattung der Kosten für einen von ihm im Haftpflichtprozess beauftragten Rechtsanwalt. Gegen 23.30 Uhr des genannten Tages fuhr der Kl. mit dem versicherten Fahrzeug in B auf ein anderes Fahrzeug auf, welches dabei einen Totalschaden erlitt. Dessen Halter verklagte daraufhin vor dem LG den Kl. als Fahrer, ferner den Halter des vom Kl. gesteuerten Pkw und die Bekl. als dessen Kfz-Haftpflichtversicherer auf Zahlung von 7.844 EUR Schadensersatz und vorgerichtlicher Nebenkosten. Die Bekl., die der Auffassung war, der Unfall sei gestellt worden, lehnte eine Schadenregulierung ab, trat jedoch sowohl dem Kl. als auch dem Fahrzeughalter und Versicherungsnehmer im Haftpflichtprozess als Nebenintervenientin bei. Der Kl. beauftragte einen eigenen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung. In der Beweisaufnahme bestätigte sich der Verdacht einer Unfallmanipulation nicht.
Im vorliegenden Deckungsrechtsstreit streiten die Parteien nur um die Kosten des vom Kl. im Haftpflichtprozess beauftragten Rechtsanwalts.
Aus den Gründen:
[9] “… Die Bekl. ist infolge ihres Leistungsversprechens i.V.m. § 150 Abs. 1 S. 1 VVG (a.F.) verpflichtet, den Kl. von den ihm im Haftpflichtprozess entstandenen Rechtsanwaltskosten, über deren Höhe im Rechtsmittelverfahren kein Streit mehr besteht, freizustellen.
[10] 1. Die Rechtsschutzverpflichtung und die Pflicht zur Befriedigung begründeter Haftpflichtansprüche sind gleichrangige Hauptleistungsverpflichtungen des Haftpflichtversicherers. … Nach § 150 Abs. 1 S. 1 VVG a.F. umfasst die Versicherung auch die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, die durch die Verteidigung gegen den von einem Dritten erhobenen Anspruch entstehen, soweit die Aufwendung dieser Kosten den Umständen nach geboten ist.
[11] 2. Der im Haftpflichtprozess mit der Beauftragung eines eigenen Anwalts für den Kl. verbundene Kostenaufwand war hier geboten.
[12] a) Im Haftpflichtprozess hat grds. der Haftpflichtversicherer selbst in Erfüllung seiner Rechtsschutzverpflichtung die Interessen des Versicherten so zu wahren, wie das ein von diesem beauftragter Rechtsanwalt tun würde (BGHZ 171, 56). Das ist im Regelfall unproblematisch, weil sich die Abwehrinteressen des Versicherers und des Versicherten meist entsprechen werden. Wegen des umfassend versprochenen Rechtsschutzes gilt das aber sogar dann, wenn eine Kollision der Interessen des Versicherers und des Versicherten auftritt. Selbst in diesem Fall bleibt der Versicherer grds. verpflichtet, seine eigenen Interessen hintanzustellen. Nur diese weite Auslegung des Leistungsversprechens kann den mit der Haftpflichtversicherung bezweckten Schutz Gewähr leisten (BGHZ a.a.O.).
[13] b) Eine besondere Interessenkollision entsteht dann, wenn im Haftpflichtprozess nach einem Verkehrsunfall neben dem Fahrer und Halter des versicherten Fahrzeugs gestützt auf den gesetzlichen Direktanspruch zugleich der Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird und letzterer sich mit der Behauptung verteidigen will, der behauptete Unfall sei in Wahrheit von den vorgeblich Unfallbeteiligten verabredet worden.
[14] In diesem Fall steht der Haftpflichtversicherer in einem unauflösbaren Konflikt. Er kann sich zwar dafür entscheiden, sein Ziel, eine Unfallverabredung gerichtlich feststellen zu lassen, nicht weiterzuverfolgen, um stattdessen allein das Rechtsschutzbegehren der Versicherten zu unterstützen und damit seiner nach dem Versicherungsvertrag geschuldeten Rechtsschutzverpflichtung zu genügen. Wird er aber auch selbst unmittelbar auf Schadensersatz in Anspruch genommen, kann es ihm nicht verwehrt werden, sich dagegen umfassend zu verteidigen, und zwar auch mit der Behauptung, das schadenbegründende Ereignis sei nicht – wie vom Geschädigten behauptet – unfreiwillig erlitten, sondern von den angeblich Unfallbeteiligten einvernehmlich herbeigeführt worden. Dennoch bleibt der Haftpflichtversicherer – lehnt er nicht von vornherein Deckung ab – auf Grund seines Leistungsversprechens weiter gehalten, den Versicherungsnehmer und den mitversicherten Fahrer wie ein von diesen beauftragter Anwalt zu vertreten und sie notfalls von Schadensersatzverpflichtungen freizuhalten.
[15] aa) In der geschilderten Situation ist weder der Haftpflichtversicherer noch ein von ihm beauftragter Rechtsanwalt in der Lage, beide Ziele gleichzeitig zu verfolgen, ohne dabei die vom Ver...