FeV § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 § 46; StVG § 3 Abs. 1; RL Nr. 91/439/EWG Art. 1 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1, Art. 8 Abs. 2 und 4
Leitsatz
1. Die in einem anderen EU- oder EWR-Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis berechtigt von Anfang an nicht zum Führen von Kfz in Deutschland, wenn der Betroffene bei der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz ausweislich der vom Europäischen Gerichtshof geforderten Nachweise nicht im Ausstellermitgliedstaat hatte. Diese Rechtsfolge ergibt sich unmittelbar aus § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV; es bedarf nicht zusätzlich einer Einzelfallentscheidung der deutschen Fahrerlaubnisbehörde.
(Amtlicher Leitsatz)
2. Wenn der Betroffene in Deutschland von einer unter § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV fallenden ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch macht, ist der objektive Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 StVG erfüllt. Ob der Betroffene gleichwohl straffrei ausgeht, weil jedenfalls der subjektive Tatbestand zu verneinen ist, wird im Strafverfahren im jeweiligen Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden sein.
(Nichtamtlicher Leitsatz)
BVerwG, Urt. v. 25.8.2011 – 3 C 25.10
Sachverhalt
“[1] Die Beteiligten streiten um die Berechtigung des Kl., von seiner in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen.
[2] Dem Kl. wurde im April 1998 durch Strafurt. die deutsche Fahrerlaubnis wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (Blutalkoholgehalt von 1,7 Promille) entzogen und eine Sperrfrist von 10 Monaten für die Wiedererteilung festgelegt. Einen Antrag auf Neuerteilung nahm der Kl. zurück, nachdem ein im April 1999 erstattetes medizinisch-psychologisches Gutachten zum Ergebnis kam, es sei nicht hinreichend sicher auszuschließen, dass er erneut ein Kfz unter Alkoholeinfluss führen werde. Einen weiteren Neuerteilungsantrag lehnte das Landratsamt im Oktober 2000 ab; nach dem medizinisch-psychologischen Gutachten vom 1.3.2000 war mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Kl. auch künftig ein Kfz unter Alkoholeinfluss führen werde.
[3] Am 26.11.2004 erwarb der Kl. in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis der Klasse B; im dort ausgestellten Führerschein ist als ständiger Wohnsitz ein Ort in Deutschland angegeben. Am 20.2.2006 wurde dem Kl. in Tschechien zusätzlich die Fahrerlaubnis der Klasse C erteilt und ihm ein neuer Führerschein ausgestellt; auch in diesem Führerschein ist ein deutscher Wohnsitz eingetragen.
[4] Als der Bekl. davon Kenntnis erhielt, wies er den Kl. mit Schreiben v. 10.11.2008 darauf hin, dass ihm der tschechische Führerschein wegen seines ständigen Wohnsitzes in der Bundesrepublik zu Unrecht erteilt worden sei und ihn nach § 28 Abs. 4 Nr. 2 und 3 FeV nicht zum Führen von Kfz im Inland berechtige. Der Kl. wurde aufgefordert, den Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen. Dieser Aufforderung kam er nicht nach und legte Widerspruch ein. Mit Bescheid v. 9.12.2008 forderte das Landratsamt den Kl. unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein vorzulegen. Mit Bescheid v. 30.12.2008 drohte es ihm die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Auch gegen diese Bescheide legte der Kl. Widerspruch ein, den die Regierung von S mit Widerspruchsbescheid v. 25.5.2009 zurückwies. Der Kl. legte dem Landratsamt daraufhin seinen tschechischen Führerschein vor, in den ein Sperrvermerk für Deutschland eingetragen wurde.
[5] Die Klage, mit der der Kl. die Feststellung begehrt, er sei berechtigt, mit seiner am 26.11.2004 in der Tschechischen Republik erteilten Fahrerlaubnis Fahrzeuge der Klasse B in Deutschland zu führen, hat das VG Augsburg [Urt. v. 11.12.2009 – VG Au 7 K 09.816] abgewiesen.
[6] Die Berufung des Kl. hat der BayVGH [Urt. v. 27.5.2010 – VGH 11 BV 10.67] zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es: Es sei weder nach deutschem Recht noch nach Gemeinschaftsrecht eine Einzelfallentscheidung der Fahrerlaubnisbehörde geboten, um die Rechtsfolge des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und 3 FeV, die Nichtanerkennung der in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis, herbeizuführen. Gemeinschaftsrechtlich ergebe sich ein solches Erfordernis insb. nicht daraus, dass Ausnahmen vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von EU-Fahrerlaubnissen eng auszulegen seien; das betreffe allein die materielle Reichweite dieser Ausnahmen. Auch ansonsten lasse sich der Rspr. des EuGH das Erfordernis einer Einzelfallentscheidung nicht entnehmen. Allein der Umstand, dass § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und 3 FeV eine einzelfallbezogene Subsumtion voraussetze, könne dieser Regelung nicht ihre konstitutive Wirkung nehmen. Auch dass die Fahrerlaubnisinhaber ihre Fahreignung möglicherweise wieder erlangt haben könnten, trage die Gegenansicht nicht; sowohl nach deutschem als auch nach Unionsrecht habe der Betroffene den Nachweis dafür zu erbringen. Könnte er von seiner ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch machen, bis eine Überprüfung seine fortbestehende Nichteignung ergebe, liefe das auf eine Umkehrung dieses Grundsatzes hinaus. Zudem würden Personen privilegiert, die ihre Fahrerlaubni...