BGB § 249
Leitsatz
Kann der Geschädigte nicht verlässlich abschätzen, ob bei einem Unfallereignis nur die Stoßstange gebrochen ist oder ob weitere nicht sichtbare Teile an seinem Pkw beschädigt worden sind, ist der Geschädigte berechtigt, ein Sachverständigengutachten einzuholen und kann nicht darauf verwiesen werden, lediglich einen Kostenvoranschlag durch eine Werkstatt zur Feststellung des Schadensumfangs erstellen zu lassen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
AG Wolfsburg, Urt. v. 14.9.2011 – 12 C 102/11
Sachverhalt
Nach einem Verkehrsunfall ermittelte der von dem Geschädigten beauftragte Sachverständige einen Reparaturaufwand von 748,48 EUR netto. Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners des Geschädigten lehnte den Ersatz der Sachverständigenkosten mit der Begründung ab, es habe ein Bagatellschaden vorgelegen, sodass der Geschädigte gehalten gewesen sei, zur Feststellung des erforderlichen Reparaturaufwandes sich mit einem preiswerteren Kostenvoranschlag zu begnügen. Dem folgte das AG nicht.
2 Aus den Gründen:
“Schließlich ist der Bekl. auch verpflichtet, die dem Kl. durch die Einschaltung dieses Gutachtens entstandenen Kosten zu erstatten. Der Schädiger hat Kosten von Sachverständigengutachten zu ersetzen, soweit diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind. Eine Ersatzpflicht besteht in der Regel auch dann, wenn das Gutachten ungeeignet ist oder seine Kosten übersetzt sind. Auch bei Kfz-Unfällen darf der Geschädigte – von Bagatellschäden bis zu 700 EUR abgesehen – einen Sachverständigen hinzuziehen …
Die eingereichten und unstreitig authentischen Fotos der Schäden an dem Fahrzeug des Kl. zeigen, dass die Stoßstange an dem Fahrzeug des Kl. gebrochen ist und Teile herausgebrochen sind … Der Kl. konnte als Laie nicht beurteilen, ob nur die Stoßstange in Mitleidenschaft gezogen war oder durch den Anstoß möglicherweise auch weitere nicht sichtbare Teile an seinem Pkw beschädigt worden waren. Unter diesen Umständen und im Hinblick hierauf war der Kl. berechtigt, ein Sachverständigengutachten einzuholen und nicht verpflichtet, lediglich einen Kostenvoranschlag einzuholen.“
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Wolfgang Schelper, Hannover
3 Anmerkung:
Grds. kann der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall die Erstattung der Sachverständigenkosten auch zur Feststellung der Schadenshöhe verlangen (vgl. BGH NJW 1974, 34; BGH NJW-RR 1989, 953, 956; AG Nürnberg zfs 2009, 149, 150; Wortmann, zfs 1999, 1 f.).
1) Lediglich in Ausnahmefällen kann die Beauftragung eines Sachverständigen nicht erforderlicher Herstellungsaufwand i.S.d. § 249 BGB sein, wenn ein anderer preiswerterer Weg zur Bestimmung der Schadenshöhe zur Verfügung steht. Das kann ein Kostenvoranschlag einer Werkstatt sein, dessen Kosten der Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung zu tragen haben (vgl. AG Mainz zfs 1998, 132; AG Traunstein zfs 1998, 111; AG Aachen DAR 1995, 295; Müller, in: Halm/Himmelreich, Fachanwalts-Handbuch Verkehrsrecht, 3. Aufl., Kapitel 6 Rn 152; vgl. auch Notthoff, DAR 1994, 417; Meinel, VersR 2005, 201). Die Kosten zur Erstellung eines Kostenvoranschlags sind notwendige Aufwendungen i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (vgl. AG Dortmund zfs 2002, 178 f.). Für den Fall der fiktiven Abrechnung ist die Ersatzfähigkeit der Kosten eines Kostenvoranschlags umstritten (ablehnend AG Prüm zfs 1993, 337; AG Augsburg zfs 1990, 227; AG Euskirchen zfs 1983, 293; für Erstattungsfähigkeit AG Berlin-Mitte SP 2004, 281). Dass der Geschädigte bei fiktiver Abrechnung und Erstattung der Kosten des Kostenvoranschlags mehr erhält als bei durchgeführter Reparatur – bei der die Kosten des Kostenvoranschlags angerechnet werden – spricht zwar gegen die Erstattungsfähigkeit, indessen darf es nicht zum Nachteil des Geschädigten ausschlagen, dass er den Nachweis der Schadenshöhe auch bei der fiktiven Abrechnung zu führen hat (vgl. AG Berlin-Mitte a.a.O.; Müller, in: Halm/Himmelreich a.a.O., Kapitel 6 Rn 152 und 153 zur Empfehlung das Procedere mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung abzusprechen (vgl. auch Meinel, VersR 2005, 201, 204).
2) Der Geschädigte darf nur dann auf die Einholung eines Kostenvoranschlags verwiesen werden, wenn ein Bagatellschaden vorliegt.
a) Grenzziehungen
Die Grenzziehung für das Vorliegen eines Bagatellschadens ist umstritten.
Die Bagatellschadensgrenze wird zwischen 500 und 1.000 EUR angesetzt (vgl. AG Frankfurt zfs 1997, 333; AG Nürnberg zfs 1999, 517; AG Mainz zfs 2002, 74; vgl. auch die Nachweise bei Fleischmann/Hillmann/Schneider, Das verkehrsrechtliche Mandat, Bd. 2 Verkehrszivilrecht, 5. Aufl., § 7 Rn 17).
Nach einer bisher nicht umgesetzten Empfehlung des 34. Verkehrsgerichtstages 1996 soll die Bagatellschadensgrenze auf 1.500 EUR (umgerechnet) erhöht werden.
b) Offenkundigkeit des Bagatellschadens
Eine Unterschreitung der wie auch immer definierten Bagatellschadensgrenze rechtfertigt nicht die Annahme, dass mit der Beauftragung eines Sachverständigen nicht erforderlicher Schadensbehebungsaufwand betrieben worden ist. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob der Geschädigte, der übe...