[15] “II. … Zutreffend hat das BG ein Leistungskürzungsrecht der Bekl. sowohl wegen Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit als auch aufgrund einer Gefahrerhöhung verneint. Dagegen hat es die Anforderungen an den Sachvortrag der Bekl. zur grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles gem. § 81 VVG überspannt. …
[17] 2. Die Bestimmungen des § 11 Nr. 2 S. 1 bis S. 3 VGB 88 sind unwirksam.
[18] a) Da der Versicherungsfall im Jahr 2009 eingetreten ist, findet gem. Art. 1 Abs. 1 EGVVG das VVG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl I 2631) Anwendung. § 28 Abs. 2 S. 2 VVG bestimmt, dass der VR im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung einer Obliegenheit nur berechtigt ist, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Von dieser Regelung weicht das Sanktionensystem in § 11 Nr. 2 S. 1 bis S. 3 VGB 88 entgegen § 32 S. 1 VVG zum Nachteil des VN ab. Denn § 11 Nr. 2 S. 1 bis S. 3 VGB 88 nimmt Bezug auf die Kündigung und die Leistungsfreiheit in § 6 VVG a.F., wonach eine grob fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzung bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der Vorschrift die volle Leistungsfreiheit zur Folge hat.
[19] b) Dies führt zur Unwirksamkeit der Regelung gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Abweichung von der halbzwingenden Vorschrift des § 28 Abs. 2 S. 2 VVG zum Nachteil des VN stellt eine unangemessene Benachteiligung dar … , da die Leistungsfreiheit des VR bei lediglich grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung mit wesentlichen Grundgedanken des § 28 Abs. 2 S. 2 VVG nicht zu vereinbaren ist.
[20] 3. Die Vertragslücke, die durch die Unwirksamkeit der Regelung über die Folgen einer Obliegenheitsverletzung entstanden ist, kann nicht geschlossen werden.
[21] Allerdings ist in Rspr. und Schrifttum umstritten, ob sich der VR bei grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit durch den VN auf ein quotales Leistungskürzungsrecht berufen kann, wenn in einem Altvertrag i.S.d. Art. 1 Abs. 1 S. 1 EGVVG die dortigen Bestimmungen über die Rechtsfolgen der Verletzung vertraglich vereinbarter Obliegenheiten durch Inkrafttreten und Anwendbarkeit des VVG 2008 unwirksam geworden sind, weil der VR auf eine Anpassung seiner Versicherungsbedingungen nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG verzichtet hat. Hiernach konnte der VR bis zum 1.1.2009 seine AVB für Altverträge mit Wirkung zum 1.1.2009 ändern, soweit sie von den Vorschriften des VVG abwichen und er dem VN die geänderten Versicherungsbedingungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede spätestens einen Monat vor diesem Zeitpunkt in Textform mitteilte.
[22] a) Zum Teil wird vertreten, dass die vereinbarte Obliegenheit im Sinne einer Verhaltensnorm weiterhin wirksam bleibt und die gesetzliche Bestimmung des § 28 Abs. 2 S. 2 VVG gem. § 306 Abs. 2 BGB an die Stelle der unwirksamen vertraglichen Sanktionsregelung tritt.
[23] aa) Dabei wird das Weiterbestehen der Obliegenheit trotz Unwirksamkeit der hierzu in den AVB getroffenen Sanktionsregelung unterschiedlich begründet:
[24] (1) Teilweise wird angenommen, dass es sich bei der Verhaltensnorm und der Sanktionsregelung um inhaltlich trennbare Regelungen handele, wobei die Verhaltensnorm aus sich heraus verständlich sei. Deshalb sei eine derartige Klausel in AVB nicht insgesamt, sondern nur teilweise hinsichtlich der dort bestimmten Rechtsfolgen unwirksam (Hövelmann, VersR 2008, 612, 616; Schnepp/Segger, VW 2008, 907, 909).
[25] (2) Überwiegend wird für AVB, die Obliegenheiten vertraglich festlegen und deren Verstoß mit den Rechtsfolgen des § 6 VVG a.F. sanktionieren, eine Ausnahme vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion befürwortet. Denn der Schutzzweck dieses Prinzips passe nicht für AVB, die bei Vertragsschluss wirksam gewesen und erst durch eine spätere Gesetzesänderung unwirksam geworden seien (MüKo-VVG/Looschelders, Art. 1 EGVVG Rn 27; Funck, VersR 2008, 163, 168; Hövelmann, a.a.O.).
[26] (3) Schließlich wird vereinzelt eine Parallele zur Behandlung verhüllter Obliegenheiten gezogen. Bei diesen halte die Sanktionsregelung der Klausel den gesetzlichen Vorgaben nicht stand; dennoch betrachte die Rspr. die Obliegenheiten als wirksam und wende hierauf unmittelbar das Obliegenheitenrecht an. Gleiches müsse hier gelten (Segger/Degen, VersR 2011, 440, 445).
[27] bb) Auch hinsichtlich der Rechtsfolgen finden sich unterschiedliche Begründungsansätze:
[28] (1) Teilweise wird das Fehlen einer vertraglichen Vereinbarung über die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung bei grob fährlässiger Begehungsweise als unschädlich betrachtet, da es sich bei § 28 Abs. 2 S. 2 VVG um ein gesetzliches Leistungskürzungsrecht handele, das unabhängig von einer vertraglichen Vereinbarung der Parteien bestehe (LG Erfurt VersR 2011, 335; HK-VVG/Muschner, Art. 1 EGVVG Rn 17; Brand, in: Looschelders/Pohlmann, VVG Art. 1 EGVVG Rn 21; Honsel, VW 2008, 480, 481; Muschner/Wendt, MDR 2008, 949, 951; Segger/Degen, a.a.O., 441).
[29] (2) Überwiegend wird angenommen, d...