BVG § 81a Abs. 1; OEG § 5 Abs. 1; SGB X § 116 Abs. 6
Leitsatz
Das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X gilt auch für den Forderungsübergang gem. § 5 Abs. 1 OEG, § 81 Abs. 1 S. 1 BVG.
BGH, Urt. v. 28.6.2011 – VI ZR 194/10
Sachverhalt
Das klagende Land macht gegen den Bekl. aus nach § 5 Abs. 1 OEG, § 81a Abs. 1 S. 1 BVG übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche geltend. Der Geschädigte war am 23.3.2004 als Sohn des Bekl. und dessen damaliger Ehefrau geboren. Die Ehegatten trennten sich bereits im April 2004 und kamen aus finanziellen Gründen überein, weiterhin mit ihrem Sohn in der gemeinsamen Wohnung zu leben. Überwiegend betreute die Mutter den Geschädigten, der Bekl. übernahm jedoch jedes zweite Wochenende die Betreuung. Die elterliche Sorge stand den Ehegatten weiterhin gemeinsam zu.
Am 31.7.2004 betreute der Bekl. den Geschädigten allein. Als der Geschädigte über einen längeren Zeitraum hinweg laut und anhaltend geschrieen hatte und mehrere Versuche, ihn zu beruhigen, fehlgeschlagen waren, schüttelte der Bekl. ihn so heftig, dass sich der Kopf des Kindes unkontrolliert hin- und herbewegte, was ein Schütteltrauma des Geschädigten mit der Folge hervorrief, dass er dauerhaft halbseitig gelähmt wurde sowie geistig zurück geblieben sein wird und maximal den Entwicklungsstand eines zwei- bis vierjährigen Kindes erreichen kann. Der Bekl. wurde wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Das klagende Land erbrachte ab 1.10.2006 Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz. Mit der Klage hat das klagende Land den Regress hinsichtlich der erbrachten Leistungen, die Feststellung der künftigen Ersatzpflicht sowie die Feststellung begehrt, dass es sich um einen auf ihn übergegangenen Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung handele. Das BG hat nach Abweisung der Klage durch das LG der Klage stattgegeben. Es ist davon ausgegangen, dass das Familienprivileg dem Übergang der Schadenersatzansprüche auf das klagende Land nicht entgegen stehe, da der Bekl. mit dem Geschädigten im Zeitpunkt der Tat nicht in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe und eine vorsätzliche Tatbegehung vorliege.
Die Revision des klagenden Landes führte zur Aufhebung des Berufungsurt. und zur Zurückverweisung der Sache an das BG.
2 Aus den Gründen:
[6] “… 1. Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des BG, dass dem Geschädigten ein Schadensersatzanspruch gegen den Bekl. gem. § 823 Abs. 1 BGB und gem. § 823 Abs. 2 BGB, § 223 Abs. 1, § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB zusteht. Die Revision nimmt weiter hin, dass das BG die Voraussetzungen für die Leistungspflicht des klagenden Landes gem. § 1 Abs. 1 S. 1 OEG angenommen hat.
[7] 2. Mit Erfolg rügt die Revision aber, dass das BG eine analoge Anwendung des § 116 Abs. 6 SGB X auf den Forderungsübergang gem. § 5 Abs. 1 OEG, § 81a Abs. 1 S. 1 BVG abgelehnt hat.
[8] In der Literatur wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X auch in diesem Fall gilt (Dahm, Die Sozialversicherung 2002, 119, 121; Fehl, in: Fehl/Förster/Leisner/Sailer, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl., § 81a BVG Rn 4; Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kapitel 30 Rn 156; Heinz, OEG, 2007, Teil F Rn 36 f.; Rohr/Sträßer/Dahm, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, 6. Aufl., § 81a BVG Anm. 4 [Stand: Dezember 2006]; vgl. Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 34 Rn 19, wonach entweder § 116 Abs. 6 SGB X oder § 86 Abs. 3 VVG analog anzuwenden sei; a.A. Doering-Striening, Die Versagung von Opferentschädigungsleistungen gem. § 2 Abs. 1 OEG, 1988, S. 327 ff.).
[9] Diese Ansicht ist zutreffend.
[10] a) Im Ausgangspunkt ist zu beachten, dass die Anwendung des Familienprivilegs bei der Geltendmachung von Regressansprüchen aufgrund erbrachter Versicherungsleistungen oder der Leistungen sonstiger Drittleistungsträger auf einem allgemeinen Rechtsgedanken beruht (vgl. Senatsurt. v. 21.9.1976 – VI ZR 210/75, VersR 1977, 149, 150; Greger, a.a.O., § 32 Rn 73; vgl. auch Verkehrsgerichtstag 2007 in Goslar, Arbeitskreis 1, Empfehlung 1). Dieser fand seinen Ausdruck zunächst nur in § 67 Abs. 2 des Gesetzes v. 30.5.1908 über den Versicherungsvertrag (RGBl S. 263; VVG a.F.). Eine entsprechende Regelung fehlte im Sozialversicherungsrecht, solange der den Regress ermöglichende Forderungsübergang in § 1542 RVO geregelt war. Gleichwohl hat der erkennende Senat entschieden, dass dieser Forderungsübergang bei Schädigungen unter Familienangehörigen, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Versicherten leben, durch den Schutzzweck der Versicherungsleistung in der Art des § 67 Abs. 2 VVG a.F. ausgeschlossen ist und dass dieser Ausschluss für alle Zweige der Sozialversicherung gilt (Senatsurt. v. 11.2.1964 – VI ZR 271/62, BGHZ 41, 79, 82 ff.; v. 14.7.1970 – VI ZR 179/68, BGHZ 54, 256, 257 f.; v. 5.12.1978 – VI ZR 233/77, 1979, 256, 257; v. 15.1.1980 – VI ZR 270/78, VersR 1980, 644; v. 15.1.1980 – VI ZR 181/78, VersR 1980, 526, 527). Sinn und Zweck des § 67 Abs. 2 VVG a.F. war, ...