Einführung
Gut 150.000 deutsche Staatsbürger werden im Jahr in einen Verkehrsunfall im Ausland verwickelt. Im Straßenverkehr in Polen sind die Unfälle in den letzten Jahren leider zunehmend angestiegen und derzeit werden im Schnitt 160 schwere Unfälle am Tag verzeichnet. Wird ein in Deutschland lebender Staatsangehöriger in Polen in einen Verkehrsunfall verwickelt und erfolgt nur eine unzureichende Regulierung, stehen ihm für eine sodann gebotene Klage mehrere Gerichtsstände zur Auswahl. Je nachdem, an welchem Gerichtsstand Klage erhoben wird, kann dies zur Anwendung des deutschen oder polnischen Rechts führen. Darüber hinaus weist das i.d.R. zur Anwendung gelangende polnische Schadensersatzrecht im Vergleich zum deutschen Recht eine Reihe an gewichtigen Unterschieden auf. Bei der Annahme eines Mandates zur Verfolgung der Ersatzansprüche des in Deutschland wohnenden Geschädigten wird der jeweils betraute Anwalt bzw. Sachbearbeiter der Versicherung daher zumindest im Überblick eine Einschätzung der in Betracht kommenden Gerichtsstände sowie des sich hieraus ergebenden sachlichen Rechts vorzunehmen haben. Mit diesem Beitrag werden die wesentlichen Grundlagen für eine solche Einschätzung dargestellt.
I. Die Bestimmung der Gerichtsstände und des hieraus folgenden sachlichen Rechts nach Rom II und dem Haager Übereinkommen
In der Regel wird bei einem Verkehrsunfall eines im Ausland wohnhaften Geschädigten in Polen auch das materielle polnische Recht zur Anwendung gelangen. Dies ergibt sich entweder aus der Verordnung Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) oder dem sog. Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971. Beide sehen im Regelfall eine Anwendung des Rechts des Ortes vor, an dem das Unfallereignis stattgefunden (Art. 3 HÜ) hat bzw. der Erstschaden (vgl. Art. 4 Abs. 1 Rom II) eingetreten ist. Beide Übereinkommen lassen jedoch unterschiedliche Ausnahmen von diesem Grundsatz zu. Zudem steht es den Parteien frei, eine Vereinbarung über das sachlich anzuwendende Recht zu treffen. Dies eröffnet für den Geschädigten die Möglichkeit, durch eine geschickte Auswahl des Gerichtsstandortes zugleich das anzuwendende Übereinkommen und damit das sachliche Recht zu bestimmen. Eine genaue Kenntnis über die in Betracht kommenden Gerichtsstände ist daher ebenso von besonderer Bedeutung wie eine Kenntnis der Ausnahmen zur Anwendung des materiellen Rechts.
1. Gerichtsstände nach der EuGVVO
Innerhalb der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR, Ausnahme: Dänemark) wird die internationale Zuständigkeit durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, in Kraft getreten am 1.3.2001) geregelt, die maßgeblich für alle Klagen gegen Beklagte ist, die in einem EU-Mitgliedsstaat (mit Ausnahme von Dänemark) ihren Wohnsitz haben. Hierbei ist zwischen folgenden Gerichtsständen zu differenzieren:
a) Die EuGVVO sieht in § 2 EuGVVO ebenso wie die ZPO in den §§ 13, 17 ZPO eine allgemeine Zuständigkeit am Wohnsitz der beklagten Partei vor. Bei einer juristischen Person gilt gem. Art. 60 EuGVVO der Ort als "Wohnsitz", an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Die EuGVVO sieht in Art. 6 Nr. 1 EuGVVO den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft vor. Eine hierfür erforderliche enge Beziehung ist anzunehmen, wenn Fahrer, Halter und Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer als Gesamtschuldner verklagt werden, so dann beide an einem der Wohn- bzw. Geschäftssitze verklagt werden können. Gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO können diese Streitgenossen desweiteren einzeln oder zusammen am Gerichtsstand des Unfallortes, an dem das schädigende Ereignis (konkret der Erstschaden) eingetreten ist, verklagt werden.
Beispiel
Ereignet sich ein Unfall in Poznan am Wohnsitz des Unfallgegners, während seine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ihren Sitz in Warschau hat, können beide als Beklagte entweder bei einem polnischen Gericht in Poznan oder Warschau als Gesamtschuldner verklagt werden.
b) Mit der Entscheidung des EuGH vom 13.12.2007 (Az. C 463/0 6) ist nunmehr bestätigt worden, dass der gegnerische Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer, der seinen Firmensitz innerhalb der EU hat, am Wohnsitz des Geschädigten verklagt werden kann, wenn in diesem Staat eine "direkte" Klage gegen den Versicherer zugelassen ist. Der EuGH legt die Vorschrift des Art. 11 Abs. 2 EuGVVO in diesem Zusammenhang weit zugunsten des Geschädigten aus. Allerdings ist bei diesem besonderen Gerichtsstand nach Art 11 Abs. 2 EuGVVO die Annexzuständigkeit nach Art. 6 EuGVVO nicht anwendbar, die sich lediglich auf allgemeine Gerichtsstände bezieht.
Beispiel
In oben genanntem Beispiel kann daher am Wohnsitz des Geschädigten in Deutschland auch vor einem deutschen Gericht Klage erhoben werden. Dies aber nur gegen den im EU-Ausland befindlichen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer (Art. 9, 11 EuGVVO).