BGB § 307; VVG § 81 Abs. 2
Leitsatz
1. Ist in einem gewerblichen Kfz-Mietvertrag eine Haftungsbefreiung oder eine Haftungsreduzierung nach Art der Vollkaskoversicherung vereinbart, ist ein in den Allgemeinen Vermietungsbedingungen vorgesehener undifferenzierter Haftungsvorbehalt für den Fall grober Fahrlässigkeit nach § 307 BGB unwirksam.
2. An die Stelle der unwirksamen Klausel über den Haftungsvorbehalt tritt der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung des § 81 Abs. 2 VVG.
3. Dies gilt hinsichtlich der Haftung des grob fahrlässig handelnden berechtigten Fahrers, der nicht Mieter ist, gleichermaßen jedenfalls dann, wenn dessen Haftungsfreistellung in den Allgemeinen Vermietungsbedingungen ausdrücklich vorgesehen ist.
BGH, Urt. v. 11.10.2011 – VI ZR 46/10
Sachverhalt
Die Kl., eine gewerbliche Kraftfahrzeugvermieterin, nimmt den Bekl. auf Ersatz des Schadens in Anspruch, den er als Fahrer eines von seiner Arbeitgeberin angemieteten Kraftfahrzeugs verursacht hat.
Am 2.6.2008 vermietete die Kl. einen Pkw an die Arbeitgeberin des Bekl. Sie vereinbarten eine Haftungsfreistellung für selbstverschuldete Unfälle mit einer Selbstbeteiligung von 770 EUR pro Schadensfall. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Vermietbedingungen der Kl. zu Grunde, die unter anderem folgende Regelung enthielten:
Zitat
2. Dem Mieter steht es frei, die Haftung aus Unfällen für Schäden der Vermieterin durch Zahlung eines besonderen Entgelts auszuschließen = vertragliche Haftungsfreistellung. In diesem Fall haftet er für Schäden, abgesehen von der vereinbarten Selbstbeteiligung nur dann, wenn
- er oder seine Erfüllungsgehilfen den Schaden durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt haben.
7. Diese Regelungen gelten neben dem Mieter auch für den berechtigten Fahrer, wobei die vertragliche Haftungsfreistellung nicht zugunsten unberechtigter Nutzer der Mietwagen gilt.“
Am 4.6.2008 fuhr der Bekl. um 0.59 Uhr nach einem Streit mit seiner Ehefrau und einem Kneipenbesuch mit dem angemieteten Pkw mit überhöhter Geschwindigkeit, kam von der Fahrbahn ab und kollidierte mit einem Baum. Der Bekl. war erheblich alkoholisiert, eine bei ihm um 2.54 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 2,96 Promille auf.
2 Aus den Gründen:
[5] “… Das BG, dessen Entscheidung in VersR 2010, 1193 veröffentlicht ist, hat ausgeführt: Der Bekl. hafte zwar dem Grunde nach gem. § 823 Abs. 1 BGB. Die Voraussetzungen für die Unzurechnungsfähigkeit des Bekl. gem. § 827 S. 1 BGB könnten nicht festgestellt werden. Die Blutalkoholkonzentration von über 3 Promille reiche hierfür allein nicht aus. Weitere Indizien könnten nicht festgestellt werden. Die Haftung des Bekl. sei jedoch zu seinen Gunsten als berechtigtem Fahrer auf die vereinbarte Selbstbeteiligung von 770 EUR beschränkt. Die Vertragsbestimmung in den AGB der Kl., die einen pauschalen und generellen Haftungsvorbehalt für den Fall der groben Fahrlässigkeit vorsieht, verstoße gegen § 307 BGB und sei deshalb unwirksam. Weil die Parteien des Mietvertrags eine Haftungsreduzierung für den Mieter nach Art der Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung vereinbart hätten, dürfe der Mieter darauf vertrauen, dass die Reichweite des mietvertraglich vereinbarten Schutzes im Wesentlichen dem Schutz entspreche, den er als Eigentümer des Kraftfahrzeugs und als VN in der Fahrzeugvollversicherung genießen würde …
[8] II. … 2. Entgegen der Annahme des BG scheitert die Haftung des Bekl. aber nicht ohne weiteres an der zwischen der Kl. und der Arbeitgeberin des Bekl. vereinbarten vertraglichen Haftungsfreistellung.
[9] a) Mit Recht hat das BG allerdings angenommen, dass bei einem gewerblichen Kraftfahrzeugmietvertrag mit Haftungsfreistellung nach Art der Fahrzeugvollversicherung die Vertragsbestimmung, die die volle Haftung des Mieters oder seines berechtigten Fahrers bei grober Fahrlässigkeit vorsieht, gem. § 307 BGB unwirksam ist. Denn eine solche Klausel weicht von wesentlichen Grundgedanken der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelung über die Fahrzeugvollversicherung ab und ist mit dieser nicht zu vereinbaren.
[10] aa) Gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Vertragspartner im Zweifel nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen benachteiligt, wenn eine Vertragsbestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, ob die dispositive gesetzliche Regelung nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt. Dabei brauchen Grundgedanken eines Rechtsbereichs nicht in Einzelbestimmungen formuliert zu sein. Es reicht aus, dass sie in allgemeinen, am Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten und auf das betreffende Rechtsgebiet anwendbaren Grundsätzen ihren Niederschlag gefunden haben …
[11] Dementsprechend wird, wovon das BG zutreffend ausgeht, der Umfang einer entgeltlichen Haftungsfreistellung in einem gewerblichen Kraftfahrzeugmietvertrag am Leitbild der Kraftfahrzeugvollversicherung beurteilt. Vereinbaren die Parteien eine...