Die Entscheidung erlaubt, auf die sich nach dem VVG 2008 und den AKB 2008 für die Kaskoversicherung in Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort stellenden Fragen aufmerksam zu machen. Beruft sich der VR auf Leistungsfreiheit, so gilt:
1. Der VR muss nachweisen, dass der VN objektiv eine Obliegenheit verletzt hat. Anders als früher folgt das nicht aus einer Rezeption des § 142 StGB sondern aus E.1.3. S. 2 AKB 2008. Danach darf der VN den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Das geht dem Wortlaut und Sinn nach in mehrfacher Hinsicht über die strafrechtlich sanktionierten Pflichten hinaus (vgl. im Ansatz Knappmann, VersR 2009, 186): Nicht nur fehlt eine Bagatellgrenze. Feststellungen sind nicht nur zu Gunsten anderer "Unfallbeteiligter" und "Geschädigter" zu ermöglichen: Vielmehr geht es um die Feststellung des Versicherungsfalls und der Leistungspflicht des VR, dezidiert also auch um die Feststellung der Fahrtüchtigkeit des VN. Davon abgesehen genügt der VN seiner Obliegenheit nicht, wenn er eine den Umständen nach angemessene Zeit gewartet hat. Die Obliegenheit scheint letztlich vom VN zu verlangen, in jedem Fall sofort die Polizei zu verständigen. Allerdings wird man, sofern sie den VN weit über § 142 Abs. 1, 2 StGB in die Pflicht nimmt, den VN über das Korrektiv des Verschuldens entlasten können.
2. Selten, aber denkbar ist, dass die Obliegenheitsverletzung – etwa weil sich der VN in ärztliche Behandlung begeben musste oder ihm beim Verbleiben am Unfallort Angriffe Dritter drohen – gerechtfertigt ist.
3. Voraussetzung des Verschuldens ist die Schuldfähigkeit. In der Praxis berufen sich VN gelegentlich auf einen Schuld ausschließenden Unfallschock. Das wird ihnen nur in außergewöhnlichen Fällen gelingen (OLG Celle SP 2009, 118; OLG Frankfurt VersR 2011, 1374): Sie müssen sein Vorliegen im Übrigen beweisen.
4.a. Der VR muss beweisen, dass der VN die Obliegenheit vorsätzlich verletzt, in Kenntnis von dem Unfall und der Notwendigkeit, Feststellungen zum Versicherungsfall und zur Leistungspflicht zu ermöglichen, gehandelt hat. Daran kann es durchaus fehlen, wenn der VN die Pflichten nach § 142 StGB beachtet hat: Es gehört nicht zum selbstverständlichen Wissen eines durchschnittlichen VN, dass Strafrecht und Versicherungsvertragsrecht die ihn treffenden Verhaltenserwartungen unterschiedlich regeln.
b. Die – vom VN zu widerlegende (!) – grob fahrlässige Verletzung von E.1.3. S. 2 AKB 2008 wird selten eine Rolle spielen. Anders als unter altem Bedingungsrecht (und der Entnahme der Obliegenheit aus § 142 StGB) kann sich allerdings die Frage stellen, ob einem VN, der sich auf Unkenntnis des Unfalls beruft, abverlangt wird, das zu widerlegen und etwa geprüft wird, ob es angesichts der tatsächlichen Unfallsituation schlechthin unentschuldbar war, sich keine Kenntnis zu verschaffen.
5. Einer Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG bedarf es nicht: Sie gilt zwar nicht nur bei "verbal" zu erfüllenden Aufklärungsobliegenheiten, setzt jedoch nach Sinn und Zweck voraus, dass der VR vom Versicherungsfall weiß, bevor sich die Obliegenheit aktualisiert. E.1.3. S. 2 AKB 2008 regelt folglich eine spontan zu erfüllenden Obliegenheit.
6. Manche Instanzgerichte halten es nicht für erforderlich, den Kausalitätsgegenbeweis zu prüfen, weil sie dem sich vom Unfallort entfernenden VN Arglist unterstellen (§ 28 Abs. 3 S. 2 VVG; LG Saarbrücken zfs 2010, 630). Davon kann allerdings nicht ohne Weiteres ausgegangen werden: Denn der VR müsste dann beweisen, dass sich der VN vom Unfallort entfernt hat, gerade um die Regulierungsentscheidung des VR zu beeinflussen (und nicht, um sich der polizeilichen Blutalkoholfeststellung zu entziehen).
7. Nach § 28 Abs. 3 VVG steht folglich dem VN zu, den Kausalitätsgegenbeweis zu führen, also beispielsweise unter Beweis zu stellen, zum Unfallzeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen zu sein. Dabei darf es grds. keine vorweggenommene Beweiswürdigung geben. In aller Regel werden aber die angebotenen Beweismittel – Zeugen für die Nüchternheit vor dem Unfall – ungeeignet sein, weil sie gewissermaßen eine "ununterbrochene" Beobachtung ergeben müssten. Daher stellt das OLG Naumburg zu Recht fest, dass dem VN – allerdings nur in der Regel – die Entlastung des § 28 Abs. 3 S. 1 VVG nicht zu Gute kommt.
Prof. Dr. Rixecker