Ungeachtet aller denkbaren Messfehler im Einzelfall halte ich auch in der Rückschau die beiden Beschlüsse des Senats zum standardisierten Messverfahren für richtig; sie bringen das rechtsstaatliche Bedürfnis nach Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und die Verteidigungsrechte des Betroffenen in ein für die Bewältigung dieser massenhaft vorkommenden Verfahren vernünftiges Verhältnis. Der Tatrichter kann im Normalfall mit wenigen Federstrichen eine Verurteilung begründen. Besonderheiten, die im Einzelfall Zweifel an der Korrektheit der Messung aufkommen lassen, können und müssen vom Betroffenen bzw. seinem Verteidiger vorgebracht werden, wenn das Gericht sie nicht von sich aus aufgreift; man kann hier ruhig von einer gewissen "Beibringungslast" des Betroffenen sprechen. Rechtsstaatlich akzeptabel kann eine solche Darlegungslast aber nur sein, wenn der Verteidiger uneingeschränkten Zugang zu den Beweisgrundlagen des konkreten Verfahrens hat. Die Balance, welche die Entscheidungen des Senats im Auge haben, wird entscheidend verschoben, wenn es dem Verteidiger nicht mehr möglich ist, sich die für seine Verteidigung erforderlichen Informationen über die gegen seinen Mandanten verwendeten Beweismittel zu beschaffen. Darüber entscheidet ausschließlich er in voller Autonomie. Das ist der Kerngehalt des fair-trial-Prinzips, die Gewährleistung einer effektiven, eigenverantwortlichen Teilhabe am Verfahren. Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist sowohl verfassungsrechtlich als auch in Art. 6 Abs. 1 MRK verankert; er gilt nach der Rechtsprechung bekanntlich auch im Bußgeldverfahren und innerhalb eines solchen schon im Vorverfahren. Wer hier sagt, der Verteidiger möge konkrete Anhaltspunkte vortragen, dann werden Verfolgungsbehörde und Tatgericht schon ihrer Aufklärungspflicht nachkommen, der verstellt die Weichen in einer dem fair-trial-Grundsatz nicht mehr genügenden Weise zu Lasten des Betroffenen. Der Verteidiger muss in der Lage sein, bereits im Vorverfahren durch einen nicht behinderten Zugriff auf Messdaten und Messunterlagen – ggf. auch mit Hilfe eines privat hinzugezogenen und von ihm mit den notwendigen Anknüpfungstatsachen ausgestatteten Sachverständigen – die konkreten Anhaltspunkte erst einmal zu ermitteln, die er dann der Bußgeldstelle oder dem Gericht vortragen kann, um die Amtsaufklärungspflicht auszulösen. Um mein Beispiel der Blutalkoholuntersuchung aufzugreifen: Wenn die Untersuchungsstelle nur das Ergebnis, den Mittelwert, mitteilt, ist der Verteidiger nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berechtigt, auf die Bekanntgabe der Einzelwerte zu bestehen. Er kann dann z.B. prüfen, ob eine unzulässige Variationsbreite vorliegt. Entsprechendes sollte für die Atemalkoholanalyse gelten. Oder nehmen Sie – außerhalb des Verkehrsrechts – die DNA-Analyse, inzwischen ein weiteres standardisiertes Verfahren, bei dem es insbesondere keiner Darlegung der Untersuchungsmethode bedarf. Gleichwohl ist der Verteidiger berechtigt zu überprüfen, aus welcher Datenbasis der Sachverständige die Häufigkeit der untersuchten Merkmale in der Population hergeleitet hat, ob diese im konkreten Fall repräsentativ ist und ob die einzelnen Merkmale, deren Häufigkeit der Sachverständige miteinander multipliziert hat, voneinander statistisch unabhängig sind. Standardisierte Messverfahren und Informationserhebungsrechte der Verteidigung stehen also in einem unlösbaren Verhältnis zueinander. Halten wir daher fest: Soweit der Verteidiger in die zur Beurteilung des Messwerts relevanten Unterlagen und Daten nicht schon nach § 147 StPO (i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG ) Einblick nehmen kann, steht ihm ein Einsichtsrecht nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu. Dieses Recht besteht unabhängig von der Amtsaufklärungspflicht. Das so definierte Ergänzungsverhältnis zwischen § 147 StPO und fair trial ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt.
Eine wesentliche Ausprägung der Verfahrensfairness ist das Gebot der Waffengleichheit; es erfordert u.a., dass beide Seiten in gleicher Weise Teilnahme-, Informations- und Äußerungsrechte wahrnehmen können. An der damit garantierten "Parität des Wissens" fehlt es, wenn die Bußgeldbehörde, nicht aber der Betroffene Zugang zu den für die Beurteilung des Messwerts relevanten Unterlagen hat. Schünemann hat für den Strafprozess Waffengleichheit wie folgt beschrieben: "Der Beschuldigte muss eine faire Chance erhalten, die von den übermächtigen Strafverfolgungsbehörden zusammengetragenen Belastungsbeweise kritisch zu analysieren und zu kontern ( … )." Es liegt danach auf der Hand, dass die Möglichkeit zur Überprüfung technischer Messungen deutlich vor der gerade in Bußgeldsachen oft sehr kurzen Hauptverhandlung gewährt werden muss. Dies ist bei der Auslegung des Umfangs des Einsichtsrechts zu beachten.
Weitere grundrechtliche Bezüge kann ich nur noch kurz andeuten: Ich habe entgegen vielfach geäußerte...