BGB § 323
Leitsatz
1. Ein Gläubiger kann nicht gem. § 323 Abs. 1 BGB vom Vertrag zurücktreten, wenn er die Frist zur Leistung vor deren Fälligkeit gesetzt hat. Das gilt auch dann, wenn bereits vor Fälligkeit ernsthafte Zweifel an der Leistungsfähigkeit oder der Leistungswilligkeit des Schuldners bestehen.
2. Allein die Erklärung des Schuldners, er werde zum Fälligkeitszeitpunkt nicht leisten können, begründet keine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung i.S.d. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
3. Der Gläubiger kann nach Fälligkeit der Leistung ohne Setzen einer Nachfrist gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB sofort zurückzutreten, wenn feststeht, dass die gem. § 323 Abs. 1 BGB dem Schuldner zu setzende angemessene Frist zur Leistung nicht eingehalten werden wird.
4. Das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 4 BGB kann nicht mehr ausgeübt werden, wenn die Leistung fällig geworden ist. Die Wirksamkeit eines Rücktritts bestimmt sich ab diesem Zeitpunkt nach § 323 Abs. 1 und 2 BGB.
BGH, Urt. v. 14.6.2012 – VII ZR 148/10
Sachverhalt
Der Kl. macht gegen die Bekl., die Verwalter in den Insolvenzverfahren über die Vermögen der früheren Bekl. zu 1) und 2), Zahlungsansprüche nach Rücktritt von einem Grundstückserwerbsvertrag mit Bauverpflichtung geltend.
Mit notariellem Vertrag vom 15.1.2008 erwarb der Kl. von der ursprünglichen Bekl. zu 1 (im Folgenden: Bekl. zu 1), deren persönlich haftende Gesellschafterin die frühere Bekl. zu 2) (im Folgenden: Bekl. zu 2) ist, ein Grundstück in W zum Preis von 2.850.000 EUR. Zugleich verpflichtete sich die Bekl. zu 1) darin, auf dem Grundstück ein Fachmarktzentrum zu errichten, das bis zum 30.6.2008 bezugsfertig sein sollte.
Im Hinblick auf etwaige Rücktrittsrechte enthält der Vertrag unter anderem folgende Regelungen:
"Abschnitt 8: Gesetzliche Rücktrittsrechte"
1. Im Übrigen bestehen Rücktrittsrechte für beide Vertragsteile nur, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
…
3. Die Kosten dieses Vertrags einschließlich des Grundbuchvollzuges sowie die Kosten der Rückabwicklung trägt der Vertragsteil, der den Rücktritt des anderen zu vertreten hat.
4. Tritt der Erwerber aus vom Veräußerer zu vertretenden Gründen vom Kaufvertrag zurück, ist der bezahlte Kaufpreisteil jeweils ab Zahlung bis zur Rückzahlung mit 5 % jährlich zu verzinsen. Weitere Ansprüche bestehen nicht, es sei denn, der Veräußerer habe den Grund des Rücktritts vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt; alsdann haftet er dem Erwerber auf Schadensersatz.“
Die Bekl. zu 2 teilte dem Kl. unter dem 14.5.2008 mit, dass sie den ursprünglich vereinbarten Übergabezeitpunkt an die Mieter im Einvernehmen mit diesen auf den 1.9.2008 verschoben habe. Unter dem 23.5.2008 schrieb der Kl. den Bekl., er schlage wegen der Verschiebung des Fertigstellungstermins um zwei Monate eine Kaufpreisminderung um 200.000 EUR vor, andernfalls ziehe er die Ausübung eines ihm zustehenden Rücktrittsrechts in Erwägung. Sodann setzte der Kl. den Bekl. mit Schreiben vom 3.6.2008 eine Frist zur Fertigstellung des Fachmarktcenters bis zum 31.7.2008 und kündigte gleichzeitig an, nach fruchtlosem Fristablauf von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch machen zu wollen. Nachdem am 31.7.2008 keine Bezugsfertigkeit gegeben war, erklärte der Kl. mit Schreiben vom 1.8.2008 den Rücktritt vom Vertrag und forderte mit weiterem Schreiben vom 8.8.2008 die Bekl. zu 1 zur Zahlung ihm entstandener Kosten (notarielle Vertragskosten, Grundbuchkosten, Maklerkosten, Bereitstellungszinsen und außergerichtliche Anwaltskosten) i.H.v. insgesamt 128.387,50 EUR, der Klagesumme, auf. In der ersten Septemberhälfte 2008 wurden die drei Ladengebäude von den jeweiligen Mietern bezogen. Den Kaufpreis hat der Kl. nicht bezahlt.
Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung des Kl. hat das BG der Klage zum überwiegenden Teil stattgegeben.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehren die Bekl. weiterhin Klageabweisung.
2 Aus den Gründen:
[7] "Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BG."
[8] I. Das BG billigt dem Kl. aus Abschnitt 8 Abs. 3 des Kaufvertrags einen Anspruch auf Ersatz der Vertragskosten zu, weil er wirksam vom notariellen Kaufvertrag zurückgetreten sei. Dies folge aus § 323 Abs. 1 BGB, denn die am 3.6.2008 gesetzte Nachfrist zur bezugsfertigen Herstellung des Einkaufszentrums sei wirksam gewesen, obwohl die Leistung der Bekl. erst zum 30.6.2008 fällig geworden sei. Es hätten schon am 3.6.2008 ernsthafte Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Schuldnerin bestanden, weil unstreitig sei, dass die Fertigstellung frühestens bis zum 1.9.2008 möglich sein würde. Die Nachfrist habe daher bereits am 3.6.wirksam gesetzt werden können.
[9] Die Nachfrist von einem Monat sei auch angemessen gewesen. Bei erheblicher Anstrengung habe die Nachfrist von der Bekl. eingehalten werden können. Das ergebe sich aus dem Verhältnis zwischen vereinbarter Bauzeit und Dauer der Nachfrist sowie aus den vorgelegten Bauzeitenplänen.
[10] Im Übrigen wäre an eine Entbehrlichkeit d...