ZPO § 91 Abs. 1 S. 1 § 357 Abs. 1
Leitsatz
1. Die Teilnahme des Prozessbevollmächtigten an einer gerichtlichen Beweisaufnahme durch den bestellten Sachverständigen ist grundsätzlich notwendig, so dass die hierdurch angefallenen Reisekosten des Prozessbevollmächtigten regelmäßig erstattungsfähig sind.
2. Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige mit einer ärztlichen Untersuchung des Prozessgegners (hier: gynäkologische Untersuchung) beauftragt worden ist, weil in einem solchen Fall weder die andere Prozesspartei noch deren Prozessbevollmächtigter das Recht auf Anwesenheit bei der ärztlichen Untersuchung haben.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Köln, Beschl. v. 8.4.2013 – 17 W 218/12
Sachverhalt
Die Kl. hatte vor dem LG Klage erhoben, mit der sie die Feststellung begehrt hat, dass die beklagte Versicherungsgesellschaft verpflichtet sei, ihr eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen. Dies begründete die Kl. damit, sie sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, ihren Beruf als Landschaftsgärtnerin auszuüben. Da die Bekl. ihre Eintrittspflicht bestritten hatte, ordnete das LG Beweisaufnahme durch Einholung eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens an. Zum Sachverständigen ernannte das LG den Chefarzt einer Klinik für Frauenheilkunde in M. Dieser erstattete sein Gutachten, ohne eine der Prozessbeteiligten von dem anstehenden Untersuchungstermin benachrichtigt zu haben. Unter anderem aus diesem Grunde hatte die Bekl. Bedenken gegen die Verwertbarkeit des Sachverständigengutachtens erhoben. Das LG ordnete hieraufhin an, dass der Sachverständige die Kl. noch einmal zu untersuchen und die Prozessbeteiligten vorab von diesem Termin in Kenntnis zu setzen habe. Dem kam der Sachverständige nach. Der Prozessbevollmächtigte der Bekl. reiste zu dem Untersuchungstermin in der auswärtigen Klinik in M an, wo er – mit Zustimmung der Kl. – an der Anamnese der Kl., nicht aber an deren weiteren Untersuchungen teilnahm. Nach Erstattung des Gutachtens wies das LG Aachen die Klage ab.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Bekl. u.a. die Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten für die Fahrt zum Untersuchungstermin in M i.H.v. insgesamt 403,68 EUR geltend gemacht. Die Rechtspflegerin hat dem Antrag entsprochen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Kl. führte zur Absetzung der Reisekosten.
2 Aus den Gründen:
"I. Die Bekl. hat keinen Anspruch auf Festsetzung und Erstattung derjenigen Kosten, die durch die Reise ihres Prozessbevollmächtigten von L nach M und zurück entstanden sind. Ihre Veranlassung ist i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung anzusehen."
1. Die Vorgehensweise der Bekl. verstößt gegen den auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhenden Gebot, dass jede Partei die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig als möglich zu halten hat, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten prozessualen Belange vereinbaren lässt (BGH BRAGOreport 203, 202 (Hansens) = NJW 2003, 2992; BAG RVGreport 2008, 229 (ders.) = NJW 2008, 1340). Erstattbar sind Kosten deshalb nur dann, wenn sie sich aus der Sicht einer wirtschaftlich denkenden Partei als erforderlich darstellen (Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 91 Rn 12 m.w.N.).
2. Solches ist hinsichtlich der in Rede stehenden Kosten nicht zu bejahen.
a) Es gilt zwar der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme, § 357 Abs. 1 ZPO. Danach haben die Parteien das Recht, der Beweisaufnahme beizuwohnen. Geht es um die Tätigkeit eines Sachverständigen, obliegt es dem Gericht zu bestimmen, wann der Sachverständige den Parteien die Teilnahme an seinen Ermittlungen zu gestatten hat, § 404a Abs. 4 ZPO.
b) Geht es aber um eine ärztliche Untersuchung des Prozessgegners durch den Sachverständigen, tritt das grds. bestehend Recht der anderen Prozesspartei, bei dessen Erhebungen anwesend zu sein, nach allgemeiner Ansicht zurück (OLG München NJW-RR 1991, 896; OLG Köln NJW 1992, 1568; OLG Hamm MedR 2004, 60; Zöller/Greger, § 357 Rn 3). Hierzu hat das OLG Köln in der vorstehend angegebenen Entscheidung ausgeführt:
“Ärztliche Untersuchungen greifen in den Intimbereich des Untersuchten ein und haben deshalb grds. in Abwesenheit dritter Personen stattzufinden. Die Achtung der Menschenwürde verbietet es, Eingriffe in die Intimsphäre zuzulassen, die weder dem erklärten Willen des Betr. entsprechen noch durch ein höherrangiges Gut gerechtfertigt sind. Die Gegenwart Dritter bei medizinischen Untersuchungen kann, namentlich wegen der damit verbundenen Offenbarung körperlicher Eigenheiten, von dem Untersuchten als Beeinträchtigung seiner menschlichen Würde empfunden werden. Die Anwesenheit dritter Personen bei einer ärztlichen Untersuchung ist daher, sofern diese nicht als ärztliche Hilfskräfte hinzugezogen werden, ohne ausdrückliche Zustimmung des Betr. nicht statthaft. Aus diesem Grund hat auch eine Partei nicht das Recht, an einer Untersuchung des Prozessgegners durch einen medizinischen Sachverständigen teilzunehmen....