Zunächst sollen einige wichtige zivilrechtliche Aspekte dargestellt und erläutert werden.
I. Sicherheitsabstand
Zivilrechtlich kommt insbesondere § 4 Abs. 1 S. 1 StVO Bedeutung zu. Man spricht hier vom sog. Sicherheitsabstand. Der Sicherheitsabstand ist der Abstand, der zum Vorausfahrenden zwingend eingehalten werden muss. Wenn die Nichteinhaltung dieses Sicherheitsabstandes dazu führt, dass es zu einem Unfall kommt, ist dies haftungsrechtlich im Rahmen der beidseitigen Mitverursachungsbeiträge zu berücksichtigen. Generell wird davon ausgegangen, dass der Auffahrende voll haftet. Mehr noch: Es wird angenommen, dass gegen den Auffahrenden der Beweis des ersten Anscheins spricht, dass dieser den Sicherheitsabstand unterschritten hat (und gegen das Fahren auf Sicht, § 3 Abs. 1 StVO, verstoßen hat und/oder die notwendige Aufmerksamkeit fehlte, § 1 Abs. 2 StVO). Voraussetzung für die Annahme eines Anscheinsbeweises zu Lasten des Auffahrenden ist – wie allgemein –, dass ein typischer Geschehensablauf vorliegt. Bei Verkehrsunfällen wird dies häufig so sein, aber nicht immer (s. hierzu unter II.).
Welcher Abstand ist einzuhalten? Die Vorschrift selbst gibt keinen fest einzuhaltenden Abstand vor. Er hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Der einzuhaltende Sicherheitsabstand richtet sich insbesondere nach der gefahrenen Geschwindigkeit, den Wetterverhältnissen und der Verkehrslage. Der erforderliche Abstand zu dem Vorausfahrenden muss jedenfalls die Strecke deutlich übersteigen, die der Nachfolgende in der Reaktions- und Bremsansprechzeit zurücklegt. Im Zweifel wird daher grundsätzlich ein größerer Abstand zum Vorausfahrenden einzuhalten, insbesondere bei erschwerten Verkehrs- und Witterungsverhältnissen. Nur ausnahmsweise kann der Abstand abweichend von den obigen Grundsätzen geringer sein, z.B. im dichten Stadtverkehr.
II. Starkes Bremsen
Häufig wird also der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden sprechen. Der Auffahrende hat dann die Möglichkeit, den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis zu "erschüttern", denn der Anscheinsbeweis erbringt nur vorläufigen Beweis. Das "Erschüttern" des Anscheinsbeweises gelingt dann, wenn Umstände bewiesen sind, die einen anderen als den typischen Geschehensablauf ernstlich als möglich erscheinen lassen. Das bedeutet, dass der schlichte Gegenbeweis genügt. Konsequenz hieraus ist, dass die beweisbelastete Partei die Anspruchsvoraussetzungen dann komplett beweisen muss, sich also nicht mehr auf den Anscheinsbeweis berufen kann. Dies kann selbstverständlich auch bei Auffahrunfällen, also vermuteten Abstandsverstößen, gelingen.
Die Möglichkeit des Gegenbeweises gibt § 4 StVO quasi selbst vor, nämlich in S. 2. Ohne zwingenden Grund darf nicht stark gebremst werden. Gelingt dem Auffahrenden der Beweis, dass der Vorausfahrende gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen hat, ist der Anscheinsbeweis erschüttert. Zwingend ist ein Grund nur dann, wenn es für den Vorausfahrenden gilt, eine plötzlich drohende Gefahr abzuwehren und einen Unfall zu vermeiden. Plötzlich ist ein Abbremsen dann, wenn es überraschend ist. Kann der Nachfolgende aber die Strecke vor dem Vorausfahrenden überblicken und die sich ihm bietende Verkehrssituation einschätzen (z.B.) Stau, muss er mit einem (starken) Bremsmanöver rechnen, so dass dieses nicht mehr überraschend kommt. Denn grundsätzlich muss ein plötzliches Bremsen auch einkalkuliert werden.
Stark ist das Abbremsen allgemein dann, wenn es über das Maß des normalen Bremsvorgangs hinausgeht. Dies wird regelmäßig eine Frage der Auslegung und des Grundes für das Abbremsen sein. Ein zwingender Grund für ein starkes Bremsen liegt vor, wenn das Bremsen zum Schutz von Rechtsgütern und Interessen erfolgt, die dem Schutzbereich des § 4 StVO entsprechen. Einbezogen werden muss in diese Abwägung die drohende Gefährdung von Menschen und der entstehende Sachschaden, also Gefahren für Leib, Leben und bedeutende Sachwerte.
Hierzu einige Beispiele aus der neueren Rechtsprechung:
In einem vom OLG Hamm entschiedenen Fall vergaß der Beklagte, dass er ein Fahrzeug mit Automatikgetriebe führte. In dessen Folge verwechselte er Bremse mit (nicht vorhandener) Kupplung und bremste stark ab. Der nachfolgende Kläger fuhr mit seinem Motorrad auf. Das OLG Hamm bejahte einen Verstoß des Beklagten gegen § 4 Abs. 2 StVO, sah auf der anderen Seite aber auch den Abstandsverstoß des Klägers, der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu gering gewesen sei. Es hielt dementsprechend eine Schadenteilung für gerechtfertigt.
Vom einen Anscheinsbeweis könne regelmäßig nur dann ausgegangen werden, w...