1. Vorsatz?
Sehr problematisch ist die Vorsatzfeststellung bei Abstandsunterschreitungen: Der Richter darf sich nicht darauf beschränken, aus der gemessenen Nähe zum vorausfahrenden Fahrzeug und der gemessenen Geschwindigkeit heraus den Vorsatz anzunehmen, sondern muss zusätzlich entweder eine offensichtliche Gefährdungssituation herausarbeiten oder aus der Verkehrssituation heraus schlussfolgern, dass man diese nur mit voller Aufmerksamkeit beherrschen kann, sich also über die Umstände bewusst sein muss. Eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Nichteinhaltung des Mindestabstandes setzt also eine Auseinandersetzung mit den kognitiven und voluntativen Vorsatzelementen voraus und kann in der Regel nicht allein mit dem Ausmaß der Abstandsunterschreitung begründet werden.
Wie auch bei anderen Verstößen ist der Einwand des nötigenden Verhaltens anderer Fahrzeugteilnehmer selten erfolgreich und sorgt oft ungewollt für eine Vorsatzannahme. Grundsätzlich gilt: Der gegen die Vorwerfbarkeit einer auf einer Autobahn festgestellten Unterschreitung des nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO gebotenen Sicherheitsabstands vorgebrachte Einwand, die Abstandsunterschreitung sei durch das gefahrvolle Auffahren des Führers des nachfolgenden Fahrzeugs verursacht worden, ist regelmäßig unbeachtlich, wenn auf der sog. Beobachtungsstrecke ein plötzliches Abbremsen oder ein unerwarteter Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugführers auszuschließen ist. Sollte die Situation so gewesen sein, dass das dem Betroffenen nachfolgende Fahrzeug erst zu einem Zeitpunkt aufschloss, als der Betroffene die Abstandsunterschreitung bereits verwirklicht hatte, lag von vornherein keine Notstandsituation vor. Wird die Behauptung aber wie gezeigt aufgestellt, räumt der Betroffene damit automatisch ein, den Abstand zum voranfahrenden Pkw vorsätzlich unterschritten zu haben. Dies setzt mit der Verdoppelung der Geldbuße und Schwierigkeiten beim Absehen von Fahrverbot noch andere Mechanismen in Gang, so dass der Verteidiger an dieser Stelle äußerst zurückhaltend agieren sollte, wenn das Beweisvideo keine Anzeichen für ein nötigendes oder gefährdendes Fremdverhalten birgt.
Ein Aspekt zur Ergänzung: Grundsätzlich kann die Vorwerfbarkeit einer Abstandsunterschreitung nicht damit begründet werden, der Fahrer habe den Abstand anhand der Fahrbahnmarkierungen erkennen können.
2. Fahrverbot?
Ausweislich der Regelrechtsfolgen der BKatV kann das Gericht in bestimmten Fällen ein Regelfahrverbot anordnen. Die Vorgaben der Rechtsprechung sind hierbei identisch zu anderen Regelfahrverboten, gerade was das mögliche Absehen bei Ersttätern, bei Fahrlässigkeit oder anderen klassischen Einwendungen angeht. Insbesondere darf von einem verwirkten Regelfahrverbot nicht allein mit der Begründung abgesehen werden, dass der die Fahrverbotsanordnung indizierende untere Tabellengrenzwert (sog. Fahrverbotsschwelle) nur knapp unterschritten wurde.
Interessant wird es allerdings bei der Frage, ob ein Fahrverbot wegen Beharrlichkeit anzuordnen wäre, § 4 Abs. 2 BKatV. Der für die Annahme eines beharrlichen Pflichtenverstoßes notwendige innere Zusammenhang ist bei einem Zusammentreffen von Geschwindigkeits- mit Abstands- oder Rotlichtverstößen im FAER regelmäßig anzunehmen.
Für die Argumentation zum Absehen vom Fahrverbot muss der Verteidiger beachten, dass die Behauptung, es liege keine abstrakte Gefährdung vor, beim Abstandsverstoß denklogisch ausscheidet.
3. Einsatz des Messsystems für andere Verstöße?
Schließlich sollte ergänzend im Hinterkopf behalten werden, dass mit dem Brückenabstandsmesssystem auch Überholverstöße von Lkw festgestellt und geahndet werden können. Denn die Messsysteme sind für Geschwindigkeits- und Abstandsverstöße zugelassen. Demnach kann der Messbeamte zwei nebeneinander fahrende Lkw problemlos messen. Ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StVO steht dann im Raum, wenn die Geschwindigkeit des Überholenden zur Zeit der Messung nur unwesentlich höher ist als die des Überholten. Dann greift nämlich auch nicht die Rechtsprechung zu den sog. Elefantenrennen, die den Zeitraum von 45 Sekunden für den Überholvorgang bestimmt: Keine Messung dauert 45 Sekunden lang, aber das muss ja auch nur der Fall sein, wenn die Differenzgeschwindigkeit 10 km/h und mehr betrifft. Hier kann der Verteidiger allerdings auf die Grundlagen des Strafprozesses zurückgreifen: Toleranzen müssen in diesem Fall nicht nur beim Betroffenen, sondern auch beim Überholten berücksichtigt werden. Auf diese Weise muss die gerätezugehörige Toleranz bei der Geschwindigkeit des Überholten abgezogen und beim Betroffenen aufgeschlagen werden. Wenn er auf diese Weise doch wieder auf die Geschwindigkeitsdifferenz von 10 km/h kommt, kann er belastbar auf einen fehlenden Verstoß oder wenigstens eine Geldbußenreduzier...