OWiG § 110d
Leitsatz
1. Die Erhebung der Aktenversendungspauschale kann nur verlangt werden, wenn die Akteneinsicht vollständig erfolgt.
2. Die Erhebung der Aktenversendungspauschale setzt jedoch bei einer elektronischen Aktenführung zwingend und unabdingbar voraus, dass der Aktenauszug den von § 110d OWiG aufgestellten Voraussetzungen genügt.
(Leitsätze der Schriftleitung)
AG Lüdinghausen, Beschl. v. 13.8.2015 – 19 OWi 166/15 [b]
Sachverhalt
Das AG entschied auf den Antrag des Betr., die gem. § 107 Abs. 5 OWiG ergangene Kostenanforderung des Kreises C v. 2.6.2015 für eine Aktenübersendungspauschale i.H.v. 12 EUR aufzuheben.
2 Aus den Gründen:
" … Der Antrag des Verteidigers auf gerichtliche Entscheidung als Rechtsbehelf gegen den Ansatz der erhobenen Auslagen ist zulässig und begründet. Die Erhebung der Aktenversendungspauschale kann nämlich nur verlangt werden, wenn die Akteneinsicht vollständig erfolgt, was bisher hier nicht der Fall ist."
Die Akte, in die der Verteidiger Einsicht begehrte, wird bei dem Kreis C in elektronischer Form geführt. Diese elektronische Akte enthält
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eingehende Dokumente in gescannter Form mit Scanvermerk, |
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teils auch Dokumente in wohl ursprünglich elektronischer Form (ausgehende Schreiben des Kreises) |
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und auch von der Polizei übermittelte Unterlagen, die dort wiederum teils elektronisch erstellt scheinen, teils aber auch selbst wieder Scans enthalten, an denen aber kein Scanvermerk angebracht ist. |
Aufgrund des ausschließlichen Vorhandenseins dieser elektronischen Akte richtet sich die Akteneinsicht nach § 110d Abs. 2 OWiG. Akteneinsicht kann hiernach – soweit nicht ein Abruf nach Abs. 2 S. 3 stattfinden kann – gewährt werden durch Übermittlung von elektronischen Dokumenten, deren Wiedergabe auf einem Bildschirm oder durch Erteilung von Aktenausdrucken; für die Übermittlung ist die Gesamtheit der Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen. Diesen Weg hat auch der Kreis C für die Akteneinsicht gewählt, indem sie dem Verteidiger die vorhandenen elektronischen Dokumente zugeleitet hat.
Diese Akteneinsicht war jedoch nicht ausreichend. Zwar tragen viele der Dokumente – wie dargestellt – Vermerke, aus denen sich das Datum des Einscannens und der Name des Arbeitsplatzes ergibt (zur Erforderlichkeit insoweit: AG Duderstadt, Beschl. v. 1.2.2012 – 3 OWi 366/11; AG Eutin, Beschl. v. 15.6.2009 – 36 OWi 4/09; AG Osnabrück, Beschl. v. 18.1.2013 – 201 OWi 570/12 = BeckRS 2013, 04932 = DAR 2013, 403 = zfs 2013, 171), nicht aber alle. Es fehlt aber vor allem ein Vermerk i.S.d. Signaturgesetzes. Die Erhebung der Aktenversendungspauschale setzt jedoch bei einer elektronischen Aktenführung zwingend und unabdingbar voraus, dass der Aktenauszug den von § 110d OWiG aufgestellten Voraussetzungen genügt und einen zusätzlichen Vermerk betreffend die qualifizierte Signatur des elektronischen Dokuments aufweist – (AG Osnabrück, Beschl. v. 18.4.2013 – 207 OWi 88/13; Graf, in: KK-OWiG, 4. Aufl. 2014, § 110d Rn 20). Nur dann kann im Rahmen einer Versendung eines Aktenauszugs eine Aktenversendungspauschale anfallen, da auch nur dann im Rechtssinne Akteneinsicht gewährt worden ist (Graf, in: KK-OWiG, 4. Aufl. 2014, § 110d Rn 20).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 S. 2 OWIG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.“
Mitgeteilt von RA Jens Dötsch, Andernach
3 Anmerkung:
Die Entscheidung überzeugt im Ergebnis, aber im Detail sollte man aufmerksam unterscheiden. Denn nur wenn die elektronisch geführte Akte tatsächlich auch (elektronisch) übermittelt wird, bedarf es nach § 110d Abs. 2 S. 2 Hs. 1 OWiG der qualifizierten elektronischen Signatur. Wenn wie offensichtlich hier nur ein Ausdruck in Papierform erstellt wurde, bedarf es hingegen keiner solchen Signatur, denn die Übermittlung erfolgt ja auf dem Postwege. Es bedarf dann aber (mindestens) gem. §§ 110d Abs. 1 S. 3, 110b Abs. 2 S. 2 OWiG des auf jeder Seite des Ausdrucks ersichtlichen Scanvermerks, damit der Verteidiger erkennen kann, dass die elektronisch geführte Akte mit den Originalen übereinstimmt, etwa wenn die Postzustellungsurkunden, Messprotokolle oder anderes betroffen sind. Diese Unterscheidung wurde in der vorliegenden Entscheidung nicht getroffen. Dennoch kann der Verteidiger von einer kostenpflichtigen Akteneinsicht erwarten, dass er eine vollständige und richtige Akte in Form des Ausdrucks erhält. Ist dies nicht der Fall, kann auch keine Pauschale verlangt werden (vgl. AG Osnabrück zfs 2013, 171, m. Anm. Hansens).
Ungleich spannender ist die Folgefrage, die sich stellt: Kann eine i.S.d. §§ 110b, 110d OWiG unvollständige Akte überhaupt die Verjährung unterbrechen, wenn sie als (unvollkommener) Ausdruck an die StA weitergeleitet wird? Natürlich. Denn hierzu verhält sich § 110d Abs. 3 OWiG eindeutig: Der Papierausdruck ersetzt die bis dahin verfahrensrelevante E-Akte und nur noch der Ausdruck, ggf. in Verbindung mit den archivierten Originaldokumenten, bildet den weiteren Gegenstand des Verfahrens, mithin die Akte. Wenn das Gericht allerdings berechtigte Zweifel ...