AUB 2008 Ziff. 1.4
Leitsatz
Das Öffnen einer Wasserflasche stellt keine erhöhte, von einem Unfallversicherungsvertrag gedeckte Kraftanstrengung dar.
LG Essen, Urt. v. 20.5.2015 – 18 O 277/14
Sachverhalt
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Unfallversicherungsvertrag.
Dem Vertrag liegen die AUB 2008 zugrunde. Dort heißt es unter anderem:
"1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erleidet."
1.4 Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule
- ein Gelenk verrenkt wird oder
- Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.“
Der Kl. behauptet, während einer operativ bedingten Fixierung des rechten Armes seiner Ehefrau habe sie versucht, mit ihrer linken Hand eine Wasserflasche zu öffnen, sei abgerutscht und habe sich das Daumengelenk ausgekugelt.
2 Aus den Gründen:
" … Dem Kl. stehen keine weiteren Ansprüche gegen die Bekl. aus der zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherung i.V.m. § 1 S. 1 VVG wegen des Ereignisses am 16.9.2011 zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass es sich bei dem Ereignis am 16.9.2011 um einen Unfall i.S.d. Versicherungsbedingungen gehandelt hat. Ein Unfall i.S.d. Ziff. 1.3 liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis ist gegeben, wenn Kräfte auf den Körper der versicherten Person einwirken, die außerhalb des Einflussbereichs des eigenen Körpers liegen. …"
Von einem von außen auf den Körper der Zeugin H wirkendes Ereignis ist die Kammer nach deren Vernehmung zum Unfallhergang nicht überzeugt … (wird ausgeführt)
Darüber hinaus sind auch die Voraussetzungen des erweiterten Unfallbegriffes gem. Ziff. 1.4 der AUB nicht gegeben. Voraussetzung hierfür wäre, dass keine typische Kraftanstrengung, sondern eine spezielle Kraftanstrengung bzw. deren Folgen in Erweiterung des Unfallbegriffes nach Ziff. 1.4 anzunehmen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Krafteinsatz nicht objektiv zu sehen ist, da der Begriff “Kraftanstrengung‘ auf die individuelle körperliche Konstitution und Kräfteverhältnisse abstellt. …
Auch eine solche erhöhte Kraftanstrengung vermag die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht anzunehmen. Die Zeugin hat hierzu bekundet, die Flasche habe sich zunächst nicht öffnen lassen, weshalb sie fester gedrückt und gedreht habe. Auf Nachfrage hat die Zeugin angegeben, sie habe “etwas‘ fester gedreht. In dieser Aussage vermag die Kammer auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Zeugin zum Zeitpunkt des Ereignisses gehandikapt war durch die Fixierung ihrer rechten Schulter, keinen erhöhten Einsatz von Muskelkraft erkennen, der über das übliche Maß hinausgeht. Es handelt sich bei dem Öffnen einer Flasche um einen alltäglichen Bewegungsablauf, der grds. keiner erhöhten Kraftanstrengung bedarf. Auch soweit sich eine Flasche nicht im ersten Ansatz öffnen lässt, kann in etwas festerem Zudrehen noch keine Bewegung erkannt werden, die im Vergleich zu einem Durchschnittsmenschen einen bemerkenswerten Krafteinsatz erfordert. Dass der individuelle Krafteinsatz der Zeugin H besonders hiervon abweichend erhöht war, hat sich aus ihrer Aussage nicht ergeben.
Der Bekl. ist auch nicht verwehrt, sich im Rahmen des Prozesses darauf zu berufen, dass ein Unfallereignis i.S.d. Versicherungsbedingungen nicht vorliege bzw. die Verletzungen nicht ursächlich hierauf zurückzuführen seien. Die Bekl. hat durch ihr Schreiben v. 12.7.2013, mit welchem sie das Ereignis erstmals abgerechnet hat, kein deklaratorisches Anerkenntnis abgegeben. Ein solches Anerkenntnis ist in den Äußerungen des VR nur im Ausnahmefall zu sehen, der hier nicht gegeben ist. Ein solcher Ausnahmefall kann anzunehmen sein, wenn z.B. ein früher zwischen den Parteien bestehender Streit nach dem Willen des VR beigelegt werden sollte. Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil zwischen den Parteien vor diesem Schreiben nicht über die Einzelheiten des Unfallereignisses gestritten wurde. Gleiches gilt für das Schreiben der Bekl. v. 13.11.2013, mit welchem die Bekl. die nach dem Bedingungswerk vorgesehenen Erklärungen abgegeben hat. Der Bekl. ist im Hinblick auf ihr Regulierungsverhalten auch nicht unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens von Treu und Glauben verwehrt, sich im Prozess auf das Fehlen eines versicherten Ereignisses zu berufen.
Aus dem Umstand, dass die Bekl. bei der Leistungsprüfung zunächst nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des Unfalls im Einzelnen in Frage gestellt hat, konnte der Kl. nicht berechtigter Weise schlussfolgern, die Bekl. werde jegliche von ihm gestellten Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Schadensfall ohne Weiteres erfüllen. … “
zfs 12/2015, S. 702 - 703