Wie in jedem Prozess muss die darlegungs- und beweisbelastete Partei die ihr günstigen Tatsachen beweisen. Nicht immer helfen die Zeugenaussagen und die unfallanalytischen Gutachten dem Gericht dabei, dass es sich i.S.d. § 286 ZPO von der "einen" Wahrheit überzeugen kann. In diesen Fällen müsste es daher eine Beweislastentscheidung geben. Die Rechtsprechung hat aber bereits frühzeitig die Grundsätze zum sog. Anscheinsbeweis entwickelt. Kann dann eine Partei die ihr günstigen Tatsachen beweisen oder sind diese unstreitig, die typischerweise den Schluss von einer Ursache auf eine bestimmte Folge – also auch ein Verschulden – oder umgekehrt zulassen, so gelingt bereits mit Vorhandensein dieser sog. Anknüpfungstatsachen der Beweis des Verschuldens der Gegenseite hinsichtlich dieses Fehlverhaltens. Der konkrete Geschehensablauf muss nicht geklärt werden, da sich der Anscheinsbeweis von den Feststellungen nach allgemeinen Beweisregeln gerade dadurch unterscheidet, weil von einem typischen Hergang auszugehen ist, solange nicht vom Gegner Tatsachen bewiesen werden oder diese unstreitig sind, welche die ernsthafte Möglichkeit einer anderen Verursachung begründen. Es muss sich dabei nach der Lebenserfahrung um einen allgemeinen Erfahrungssatz handeln, der aber nicht wissenschaftlich zu belegen sein muss. Gefährlich ist es also dann für die Parteien, wenn der Richter seine persönliche Lebenserfahrung mit der allgemeinen Lebenserfahrung gleichsetzt und im Ergebnis einen Schluss zieht, dem keine ausreichende Wahrscheinlichkeit zukommt. Auch wenn ein Richter beispielsweise jedes Mal, wenn er ein Taxi benutzt, die Erfahrung machen würde, dass dieses Taxi mindestens 5–10 km/h zu schnell fährt, kann daraus kein allgemeiner Erfahrungssatz gebildet werden, wonach Taxifahrer immer zu schnell fahren. Umgekehrt kann aufgrund der besonderen Anforderung an die Fahrerlaubnis für Taxifahrer, vgl. § 48 FeV, nicht der Schluss gezogen werden, dass diese nie zu schnell fahren. Fehlerhaft hatte daher im Jahre 1979 das AG München einen Erfahrungssatz aufgestellt, dass ein erfahrener Taxifahrer nicht gegen ein stehendes Fahrzeug fahren würde. Gerade in Verkehrsunfallangelegenheiten hilft der Anscheinsbeweis dem Gericht, um eine objektive Lösung eines Falles zu finden, bei denen aufgrund der Aussagen der Parteien und Zeugen sich das Unfallgeschehen eigentlich so darstellt, als könnten die Parteien nicht an demselben Unfallgeschehen partizipiert haben. Der Anscheinsbeweis ist aber natürlich nicht für das Verkehrsrecht entwickelt worden, sondern findet auch darüber hinaus Anwendung, z.B. auch bei der Entstehung eines Brandes oder bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten (Sturz auf einer glatten Treppe).
Wie bereits einleitend erwähnt, ist die Regel "Wenn es hinten kracht, gibt es vorne Geld." wohl die bekannteste Anscheinsbeweiskonstellation.
Der BGH hatte nun im Jahre 2012 erneut festgehalten, dass das Kerngeschehen "Auffahrunfall" grundsätzlich nicht genügt.
Der Anscheinsbeweis soll immer dann gelten, wenn bei typischen Geschehensabläufen, bei denen nach der Lebenserfahrung regelmäßig von einem bestimmten Ereignis auf einen bestimmten Erfolg geschlossen werden kann und umgekehrt. Allerdings greift dann, wenn der mit der Entkräftung dieses Anscheinsbeweises Belastete dargetan hat, dass der Schaden auf mehrere typische Geschehensabläufe zurückgeführt werden kann, der Anscheinsbeweis nicht durch, selbst wenn der eine Geschehensablauf wahrscheinlicher ist als der andere. Es liegt dann nämlich einer derjenigen Fälle vor, in denen gerade die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Ursachenverlaufes gegeben ist, so dass der Anscheinsbeweis entfällt.
Zudem betont der BGH immer wieder, dass bei der Anwendung des Anscheinsbeweises Zurückhaltung geboten ist, weil er es erlaubt, bei typischen Geschehensabläufen aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten zu schließen, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt ist. Deswegen kann er nur Anwendung finden, wenn das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür ist, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis angewendet wird, schuldhaft gehandelt hat.
Der Teufel steckt wie immer im Detail. Leider hat man den Eindruck, dass die Instanzgerichte bei der prozessualen "Arbeitshilfe" Anscheinsbeweis vielleicht den Fall nicht so genau beleuchten wollen bzw. eine Typizität konstruieren, die es so nicht gibt, da sich dann ein anderes Ergebnis herausstellen würde. Anders können die zahlreichen gegensätzlichen Entscheidungen der OLG zum Auffahrunfall nach vorangegangenem Spurwechsel nicht verstanden werden.
Man sollte meinen, dass durch die beiden letzten Urteile des BGH zum Auffahrunfall auf der Autobahn alles geklärt ist. Dennoch zeigen wieder die aktuellen Urteile z.B. das gut begründete Urteil des OLG Saarbrücken vom 14.8.2...