Aktuell tauchen in der Schadensregulierung von Personenschäden immer wieder Schreiben mit Schweigeverzichtserklärungen von Versicherern auf, welche zu erheblichen Verunsicherungen bei den Anwälten und den Mandanten führen. Betroffen sind nicht nur mittlere und große Personenschäden, sondern alle Personenschäden, auch schon jede HWS-Verletzung. In diesen Schreiben der Versicherer wird der Mandant darauf hingewiesen, dass die Fälle nicht bearbeitet werden können, wenn nicht jene vorformulierte Schweigeverzichtserklärung unterschrieben wird. Was hat es mit diesen neuen Schweigeverzichtserklärungen der Versicherer auf sich?
Eine Nachforschung ergab, dass der GDV im Jahr 2013 zusammen mit der Bundeszentrale für Verbraucherschutz einen von einem Datenschutzbeauftragten genehmigten Code of Conduct abgeschlossen hat. Darin wurden verschiedene Vereinbarungen zum Datenschutz bei Versicherern getroffen. Es geht um Erhebung von Gesundheitsdaten zum Nachweis eines Schadens. Irritierend an dieser ganzen Angelegenheit ist nur, dass die Anwälte – und hier speziell die Verkehrsanwälte – nicht miteinbezogen wurden. Dies ist mehr als bedenklich, da Anwälte, wenn sie Geschädigte vertreten, genau die Interessenvertreter sind, die hier selbstverständlich angehört werden müssen. Das Problem dieser jetzt aufgetauchten Schweigeverzichtserklärungen der Versicherer ist, dass nunmehr wahllos Dritte mit in die Schadensregulierung einbezogen werden können: Es werden Gesundheitsdaten, die höchstsensibel sind, durch diese neuen Schweigeverzichtserklärungen problemlos an Dritte weitergegeben. Diesen Schweigeverzichtserklärungen hängen manchmal Listen an, wonach die rein persönlichen Gesundheitsdaten der Mandanten nicht nur an Sachbearbeiter der Versicherer, sondern auch an Detekteien, an wirtschaftlich ausgelagerte GmbHs oder auch an andere Wirtschaftsunternehmen weitergegeben werden können. Es liegt dann quasi eine Blankoerklärung vor.
Die Einholung eines Vorerkrankungsregisters bei den Personenschäden wird dann, wie es in der Praxis ist, auch nicht die Ausnahme sein, sondern die Regel. Bisher war es so, dass der Geschädigtenvertreter mit dem Schädiger abgesprochen hat, welche Sachverständige mit der Begutachtung des Geschädigten beauftragt werden und welche Unterlagen konkret für den Einzelfall einzuholen sind, weil es sich gerade um höchstpersönliche Daten handelt.
Unterstützung erhält der Geschädigte hier auch durch die Entscheidung des OLG Düsseldorf (zfs 2014, 85–89), wonach z.B. der Geschädigte nicht verpflichtet ist, weder im Verfahren noch davor, sein Vorerkrankungsregister vorzulegen. Mit diesen neuen Schweigeverzichtserklärungen erhalten die Versicherer allerdings eine Blankovollmacht, Gutachten und auch Vorerkrankungsregister generell einzuholen.
Hier sind selbstverständlich die Verkehrsanwälte miteinzubeziehen. Es muss eine Abstimmung mit den Versicherern bzw. dem GDV erfolgen, damit auch in Zukunft eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gewährleistet ist.
Viel schlimmer ist noch die Antwort der Versicherer, wenn der Geschädigte bzw. dessen Interessenvertreter durch den Anwalt sich weigert, diese Schweigeverzichtserklärung zu unterschreiben oder abzugeben. Dann heißt es in einigen Erklärungen der Versicherer, dass dann der Fall eben nicht bearbeitet wird. Es entsteht der Eindruck, dass der Geschädigte seine Ansprüche verliert. Ein solches Verhalten ist seitens der Versicherer schlicht falsch, weil es im BGB und im gesamten Schadensrecht keine Verpflichtung des Geschädigten gibt, vom Versicherer vorgefertigte Entbindungserklärungen zu unterschreiben. Um es nochmal klarzustellen: Der Geschädigte, der schuldlos in einem Unfall verwickelt ist, behält natürlich seine Ansprüche und sein gesamtes Schadensersatzrecht, auch wenn er die von den Versicherern vorformulierten Schweigeverzichtserklärungen nicht unterschreibt.
Deswegen ist hier dringender Handlungsbedarf gegeben. Das heißt, es muss dringend der GDV zusammen mit den Verkehrsrechtsanwälten eine Lösung erarbeiten, damit das Vertrauen zwischen Anwaltschaft und Versicherer wiederhergestellt wird, wie dies in der Vergangenheit auch der Fall gewesen ist.
Autor: Michel Schah Sedi
RA Michel Schah Sedi, FA für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht, Tessin
zfs 12/2015, S. 661