MessEG § 31 Abs. 2 Nr. 4; StPO § 147
Leitsatz
1. Eine “Lebensakte’ eines Messgerätes kann nur dann beigezogen oder zum Gegenstand der Akteneinsicht gemacht werden, wenn es eine solche gibt.
2. Es gibt derzeit keine gesetzliche Vorschrift, die die Erstellung einer “Lebensakte’ vorsieht.
3. Einem Antrag auf Einsicht in die “komplette Messreihe’ muss das Gericht grds. nicht nachkommen.
OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 26.8.2016 – 2 Ss-OWi 589/16
1 Aus den Gründen:
" … Ergänzend bemerkt der Senat auf das Vorbringen der Verteidigung:"
1. Zum Antrag auf Beiziehung der “Lebensakte’
Eine “Lebensakte’ eines Messgerätes kann nur dann beigezogen oder zum Gegenstand der Akteneinsicht gemacht werden, wenn es eine solche gibt. Trotz gegenteiliger Behauptung kann etwas, was nicht existiert, nicht Gegenstand eines Verfahrens sein.
Zum Vortrag bei einem gleichwohl auf Beiziehung oder Akteneinsicht gerichteten Beweisantrag gehört daher grds. das Wissen um die Existenz einer solchen “Lebensakte’, wo sie sich befinden soll und vor allem was sich in ihr befinden soll. Nur so kann das Gericht überhaupt prüfen, ob die behauptete “Lebensakte’ Relevanz für das Verfahren haben kann. Dabei gilt auch hier, dass die bloße Behauptung den dazu notwendigen Tatsachenvortrag nicht ersetzt. Vorliegend scheitert der notwendige Tatsachenvortag bereits daran, dass es zumindest in Hessen keine “Lebensakten’ eines Messgerätes gibt.
Auch aus der Entscheidung des OLG Jena (NStZ-RR 2016, 186) ergibt sich nichts anderes. Das OLG hat in dieser Entscheidung die Existenz einer “Lebensakte’ vorausgesetzt. Was eine “Lebensakte’ ist und auf welchen rechtlichen Grundlagen welche Daten, Urkunden oder sonstige Nachweise diese “Lebensakte’ enthalten soll, dazu verhält sich die Entscheidung nicht. Es soll sich um “tatvorwurfrelevante Informationen’ gehandelt haben. Welche das konkret gewesen sein sollen, wird nicht mitgeteilt. Insofern sind auch die Folgen für die Aufklärungspflicht, gegen die das AG verstoßen haben soll, aus der Entscheidung selbst nicht nachvollziehbar. Eine über den vom OLG Jena konkret entschiedenen Einzelfall und den dort möglicherweise vorliegenden Besonderheiten hinaus gehende rechtsweisende Wirkung hat die Entscheidung daher nicht.
Es gibt derzeit auch keine gesetzliche Vorschrift, die die Erstellung einer “Lebensakte’ vorsieht.
Die einzige Regelung in diesem Zusammenhang ist § 31 MessEG. Diese Vorschrift sieht die Aufbewahrungspflicht des Verwenders für Reparaturen und Wartungen bei nicht geeichten Geräten vor. Die Vorschrift dient der Marktüberwachung der Eichämter bei “nur’ konformitätsbewerteten Messgeräten. Konsequenterweise sind derartige Nachweise auch nur bis zur Eichung vorzuhalten. Nichtgeeichte Messgeräte sind vorliegend in Hessen derzeit nicht im Einsatz.
Sollte sich der Antrag auf Einsicht in die “Lebensakte’ daher auf “Beiziehung der Reparatur und Wartungsbescheinigungen’ nach § 31 MessG richten, ist in den Blick zu nehmen, dass bei geeichten Messgeräten derartige Bescheinigungen grds. nicht vorgehalten werden müssen.
Sie sind im Übrigen auch keine geeigneten Beweismittel, um tatsachenbegründete Zweifel an der Messrichtigkeit und Messbeständigkeit eines geeichten Messgerätes wecken zu können. Eine Reparatur kann ohne Brechung der Eichsiegel nicht erfolgen. Selbst wenn es zu Reparaturen gekommen wäre, müssen die Geräte vor erneuter Inbetriebnahme neu geeicht werden. Die Eichämter bestätigen durch die erneute Eichung und (Neu)-Siegelung die Messrichtigkeit und Messbeständigkeit des Geräts. Auf die Stellungnahme der PTB v. 31.5.2016 zu § 31 MessEG (einsehbar auf der Homepage der PTB: www.ptb.de/geschwindigkeit_stellungnahmen), die ebenfalls nach § 256 Abs. 1 Nr. 1. a) StPO – als Gutachten einer Behörde – verlesen werden kann, wird ausdrücklich verwiesen.
Ist das Tatgericht von der Unversehrtheit der Eichsiegel überzeugt, wozu i.d.R. die Erklärung des Messbeamten, der die Eichsiegel überprüft und der seine Erkenntnisse in einem Messprotokoll niedergelegt hat, ausreicht, kann das Tatgericht ohne konkrete tatsachenfundierte Einwendungen grds. von einer ordnungsgemäßen Messung ausgehen. Das Messprotokoll kann als Erklärung nach § 256 Abs. 1 S. 1 Nr. 1. a) bzw. Nr. 5 StPO als Zeugnis bzw. Erklärung über eine amtlich festgestellte Tatsache einer Ermittlungshandlung verlesen werden. Der Ladung des Messbeamten bedarf es insoweit in aller Regel nicht.
2. Zur Beiziehung der “kompletten Messreihe’
Auch dem Antrag auf Einsicht in die “komplette Messreihe’ muss das Gericht grds. nicht nachkommen.
Dabei gilt zunächst, dass die “Messreihe’ nicht Aktenbestandteil ist. Beweismittel für den Verkehrsverstoß ist ausschließlich das Messbild des Betr. mit den ihn betreffenden Messdaten in der ausgewerteten verbildlichten Form, wie es sich in der Gerichtsakte befindet (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 3.3.2016 – 2 Ss-OWi 1059/15; Beschl. v. 28.4.2016 – 2 Ss-OWi 190/16).
Da das in der Akte befindliche “Messbild’ als Beweismittel für den Verkehrsverstoß auf der digitalisierten “Falldatei’ beruht, ha...