VVG § 103; BGB § 812 § 781
Leitsatz
1. Tilgt der Kfz-Haftpflichtversicherer durch seine Leistung die Haftpflichtschuld seines VN ohne diesem gegenüber dazu verpflichtet zu sein, weil der konkrete Schaden von einem gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Risikoausschluss (hier: § 103 VVG) erfasst ist, kann er seine Leistung aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung von dem geschädigten Leistungsempfänger nur dann zurückverlangen, wenn er unter dem Vorbehalt der bestehenden Leistungsverpflichtung gegenüber dem Schädiger geleistet hat.
2. Der Vorbehalt der bestehenden Leistungsverpflichtung muss ausdrücklich erklärt werden oder sich für den Leistungsempfänger unzweideutig aus den Umständen des Falls ergeben. Allein das vermeintliche Bestehen eines Direktanspruchs nach § 115 VVG begründet nicht die Annahme, der Kfz-Haftpflichtversicherer habe sich die Rückforderung des Geleisteten für den Fall des Nichtbestehens seiner Freistellungsverpflichtung gegenüber dem Schädiger vorbehalten wollen.
OLG Hamm, Urt. v. 17.12.2015 – 6 U 139/14
Sachverhalt
Die Kl. nimmt die Bekl. als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung auf Rückzahlung von Versicherungsleistungen für einen von ihrem VN, Herrn A T, verursachten Schaden aus einem Verkehrsunfall vom 12.7.2013 auf der B64 zwischen H und E in Anspruch.
Zum genannten Unfallzeitpunkt kollidierte der VN der Kl. mit dem bei der Kl. haftpflichtversicherten Opel Astra mit dem aus der Gegenfahrtrichtung vom Zeugen K gesteuerten Lkw der Bekl. ungebremst frontal, nachdem er die für seine Fahrtrichtung freigegebene Fahrbahn mit einer Geschwindigkeit von ca. 115 – 120 km/h verlassen und über die doppelte durchgezogene Mittellinie in die Gegenfahrbahn eingefahren war.
Dadurch entstand der Bekl. ein Schaden an dem in ihrem Eigentum stehenden Lkw – einschließlich Gutachterkosten, Mietwagenkosten, Abschleppkosten, An- und Abmeldekosten, sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und einer Kostenpauschale – i.H.v. 64.466,15 EUR. Diesen Schaden hat die Kl. auf entsprechende Aufforderung in mehreren Teilzahlungen in der Zeit vom 15.8.2013 bis zum 3.9.2013 beglichen.
Der noch am Unfallort verstorbene VN der Kl. war Vater von zwei Kindern und lebte zum Unfallzeitpunkt seit ca. 5 Tagen von seiner Ehefrau getrennt. Ca. 3-4 Tage vor dem Unfall befand er sich wegen Einnahme einer Überdosis – gesundheitlich ungefährlicher – Hundestimmulanzien in stationärer psychologischer Behandlung im Evangelischen Krankenhaus in I. Außerdem hinterließ er im Elternschlafzimmer einen in türkischer Sprache verfassten Abschiedsbrief, in welchem er – sinngemäß übersetzt – mitteilte, er wolle nicht mehr leben, das Licht seines Lebens sei erloschen, seine Liebe habe ihm den Rücken zugekehrt. Wenige Minuten vor dem Unfall sandte er eine Textnachricht auf das Mobiltelefon seiner Ehefrau mit dem Inhalt, er wolle sie für ein neues Leben freigeben und damit ernst machen, was er die Tage zuvor nicht geschafft habe.
Nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft H im September 2013 forderte die Kl. die vorgenannten Teilzahlungen auf den Schaden der Bekl., mit der Begründung, dass sie diese in Unkenntnis der dargestellten persönlichen Verhältnisse ihres VN erbracht habe, von der Bekl. zurück.
Die Kl. vertritt die Ansicht, ihr stehe ein Rückzahlungsanspruch gegen die Bekl. nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB) zu, weil sie gem. § 103 VVG von ihrer Leistungspflicht gegenüber ihrem VN frei geworden sei. Hierzu hat sie erstinstanzlich behauptet, ihr VN habe den Schaden der Bekl. vorsätzlich herbeigeführt, indem er den Verkehrsunfall in Suizidabsicht provoziert habe. Die vorbehaltlose Zahlung stehe ihrem Rückzahlungsbegehren nicht entgegen, da sie im Zeitpunkt der Zahlung keine Kenntnis vom Inhalt der Ermittlungsakte gehabt habe. Das Handeln ihres VN in Suizidabsicht ergäbe sich bereits aus den Umständen des Falls, insb. aus der Art des Unfallgeschehens, seiner Persönlichkeit und seines Verhaltens unmittelbar vor dem Unfall.
2 Aus den Gründen:
"I) Der Kl. steht kein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten 64.466,15 EUR gegen die Bekl. zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich insb. nicht aus § 812 Abs. 1 BGB, denn die Bekl. hat die von der Kl. gezahlten Schadensersatzleistungen nicht ohne rechtlichen Grund erlangt. Andere Anspruchsgrundlagen für ein Rückzahlungsbegehren sind nicht ersichtlich."
Eine Leistung ohne rechtlichen Grund liegt nur dann vor, wenn dem Leistungsempfänger die erbrachte Zuwendung nach der ihr zugrundeliegenden Rechtsbeziehung nicht zusteht. Daran fehlt es.
1) Zwar hat das LG zutreffend festgestellt, dass der VN der Kl. den ihn zum Schadensersatz gegenüber der Bekl. verpflichtenden Verkehrsunfall vorsätzlich in Suizidabsicht herbeigeführt hat. Das hat zur Konsequenz, dass die Kl. ihrem VN gegenüber gem. § 103 VVG nicht verpflichtet war, den der Bekl. entstandenen Schaden zu ersetzen. Das aus dem Versicherungsverhältnis entstammende Deckungsverhältnis zwischen VR und VN scheidet als Rechtsgrund ...