RVG § 8 Abs. 1 und 2 § 15 Abs. 2; BGB § 195
Leitsatz
Ruht das Verfahren und verjährt infolge dessen eine zuvor angefallene Gebühr, so kann, wenn nach Wiederanruf des Verfahrens eine Tätigkeit entfaltet wird, die den Gebührentatbestand verwirklicht, die Gebühr erneut entstehen und vom Bevollmächtigten geltend gemacht werden.
VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.10.2016 – 11 S 1124/16
Sachverhalt
Der der Kl. im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt hat durch seine gerichtliche Tätigkeit die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG verdient. In der Folgezeit ruhte das Verfahren für einen längeren Zeitraum, der dem mitgeteilten Sachverhalt nicht zu entnehmen ist. Einige Zeit später beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kl. die Wiederaufnahme des Rechtsstreits. Er war in der Folgezeit für die Kl. als Prozessbevollmächtigter weiter tätig. Nach Beendigung des Rechtsstreits beantragte der Rechtsanwalt die Festsetzung der ihm aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) lehnte die Festsetzung einer 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ab, weil der Anspruch verjährt sei. Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Anwalts hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"Die statthafte und im Übrigen zulässige Erinnerung hat Erfolg."
Die Verfahrensgebühr gem. VV 3100 wurde zu Unrecht abgesetzt. Nach der Vorbem. 3 Abs. 2 zu Teil 3 Anl. 1 RVG entsteht die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information des Mandanten. Eine solche Tätigkeit hat der Prozessbevollmächtigte mit dem Wiederanruf des Verfahrens und der sodann weiter entfalteten Prozessführung unstreitig erbracht. Die Tatsache, dass er bis zum Ruhen des Verfahrens eine entsprechende Tätigkeit bereits erbracht hatte und die insoweit angefallene Gebühr nach § 8 Abs. 2 RVG verjährt ist, steht dem nicht entgegen.
§ 15 Abs. 2 RVG verbietet lediglich, dass in derselben Angelegenheit, was hier der Fall ist, die Gebühr mehrfach gefordert werden kann. Die Vorschrift setzt denknotwendig voraus, dass der Gebührentatbestand an sich in derselben Angelegenheit mehrfach verwirklicht werden kann. Deshalb besteht, soweit ersichtlich, in der Literatur Einigkeit darüber, dass im Falle einer eingetretenen Verjährung, wenn also der Prozessbevollmächtigte die Gebühr nicht mehr fordern kann, er aber in der Folge wieder Tätigkeiten entfaltet, durch die der Gebührentatbestand wieder verwirklicht wird, die Gebühr erneut gefordert werden kann (vgl. H. Schmidt, AnwBl 1979, 382; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, § 8 Rn 30; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., § Rn 35 dort versehentlich systematisch unter dem Stichwort “Pflichtverteidiger’ eingeordnet; Gierl, in: Mayer/Kroiß, RVG, 2. Aufl., § 8 Rn 2; Enders, in: Hartung u.a., RVG 2. Aufl., § 8 Rn 39; OLG KölnJurBüro 1993, 345). … “
3 Anmerkung:
Die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg ist im Ergebnis zutreffend. Sie beleuchtet ein Problem, das in der anwaltlichen Praxis vielfach gar nicht als Problem wahrgenommen wird, was dann zu Vergütungsverlusten führen kann. Da der VGH seine Ausführungen sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht sehr knapp gehalten hat, soll hier etwas ausführlicher zu den hier zur Entscheidung stehenden Fragen Stellung genommen werden.
I. Mehrfacher Gebührenanfall
Der Prozessbevollmächtigte einer Partei verwirklicht den Tatbestand der Verfahrensgebühr – hier nach Nr. 3100, 3101 VV RVG – im Laufe seiner Prozessführung meist mehrfach. Die Information des Mandanten löst bereits die 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG aus. Reicht der Anwalt dann für den Mandanten die Klageschrift ein, verdient er die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG (siehe Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG). Nimmt der Rechtsanwalt dann zu der Klageerwiderungsschrift des Beklagten schriftsätzlich mit Sachvortrag Stellung, löst dies die 1,3 Verfahrensgebühr erneut aus. Die Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung lässt die 1,3 Verfahrensgebühr wiederum anfallen. Weitere nach dem Verhandlungstermin entfaltete Tätigkeiten lösen die – volle oder ermäßigte – Verfahrensgebühr erneut aus.
Dem steht die Bestimmung des § 15 Abs. 2 RVG nicht entgegen. Aus § 15 Abs. 2 RVG folgt lediglich, dass der Prozessbevollmächtigte, der in derselben Angelegenheit den Gebührentatbestand mehrfach verwirklicht hat, die Gebühr nur einmal fordern kann. Das heißt hier, dass der Prozessbevollmächtigte der Kl., der durch verschiedene Tätigkeiten zunächst die 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG und sodann durch weitere Tätigkeiten die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG – diese sogar mehrfach – verdient hat, insgesamt nur eine Verfahrensgebühr nach dem höchsten Gebührensatz und dem – was hier keine Rolle spielte – höchsten Gegenstandswert berechnen kann.
II. Auswirkungen des Ruhens des Verfahrens
1. Fälligkeit
Die Anwaltsvergütung wird fällig, wenn einer oder sogar mehrere der in § 8 Abs. 1 RVG aufgeführten Fälligkeitstatbestände erfüllt sind. Hier kam der in § 8 Abs. 1 S. 2 letzter Fall RVG genannte F...