AKB E 1.3. 6.1. 6.2.; StGB § 142 Abs. 2
Leitsatz
1. Die automatisierte Fertigung von Videoaufnahmen von einem Unfallgeschehen durch einen Geschädigten entbindet den VN nicht von seiner Aufklärungsobliegenheit.
2. Es ist davon auszugehen, dass ein VN nachträgliche Feststellungen nicht nur deswegen verhindert, um den Entzug der Fahrerlaubnis zu verhindern, sondern auch in dem Bewusstsein, dass der VR Kenntnis von seiner Fahruntüchtigkeit erlangt.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Saarbrücken, Urt. v. 1.2.2017 – 5 U 26/16
Sachverhalt
Die Kl. verlangt eine Vollkaskoentschädigung i.H.v. 106.443,36 EUR wegen eines Unfallschadens vom 25.4.2013. Die Kl. unterhielt bei der Bekl. zum Unfallzeitpunkt eine Kraftfahrtversicherung. Danach gewährte die Bekl. der Kl. Versicherungsschutz unter anderem für die dem VN zugeteilten roten Kennzeichen zur ausschließlichen Verwendung von Prüfungs-, Probe- oder Überführungsfahrten gem. den Bestimmungen des § 16 i.V.m. § 2 Ziff. 23–25 FZV für eigene Zwecke.
Am 24.4.2013 fuhr der Geschäftsführer der Kl. einen Pkw A, der noch nicht zugelassen war, aus einer Garage in der S-Straße hinaus und stieß nach wenigen Metern gegen eine Fabrikhalle der Firma V. Nach Aussage von Zeugen hielt der Pkw an der Kreuzung für ein paar Sekunden, fuhr dann plötzlich mit hoher Geschwindigkeit an und stieß mit einem so starken Aufprall gegen die der Einmündung gegenüberliegende Fabrikhalle, dass ein 1 × 2 m großes Loch in der Wand entstand. Nach dem Unfall stieg der Geschäftsführer der Kl. aus und verließ nach weniger als 3 Minuten die Unfallstelle, nachdem seine beiden Söhne erschienen waren. Einer seiner Söhne entfernte das Unfallfahrzeug. Als nach wenigen Minuten ein Mitarbeiter von V an der Schadenstelle eintraf, befand sich niemand mehr am Unfallort. Kurze Zeit später erschienen die beiden Söhne des Geschäftsführers des Kl., reinigten den Unfallort und erklärten einem Mitarbeiter von V, dass der Schaden bezahlt werde. Angaben zum Unfallhergang oder zum Fahrer des Unfallfahrzeugs verweigerten die Söhne. Außerdem gaben sie ein Kennzeichen an, welches nicht dem roten Kennzeichen … entsprach.
Als die Polizei mehr als eine halbe Stunde nach dem Unfall erschien und den Standort des Kfz in einer nahegelegenen Garage anhand einer Flüssigkeitsspur ermittelte, war an dem Unfallfahrzeug hinten das der Kl. zugewiesene rote Kennzeichen angeschraubt. Gegenüber der Polizei erklärte einer der Söhne des Geschäftsführers der Kl., er sei der Fahrer gewesen. Er legte den roten Fahrzeugschein und das nach § 16 FZV zu führenden Fahrzeugscheinheft vor, in dem lediglich er und nicht der Geschäftsführer der Kl. als Fahrer an diesem Tage eingetragen war.
Die Kl. hat behauptet, der Geschäftsführer, dem ein Defibriliator implantiert ist, habe Schmerzen und Luftnot verspürt und sich deshalb in ärztliche Untersuchung in die M-Klinik in L begeben. Beim Verlassen der Unfallstelle habe er seinen Sohn angewiesen, der Firma V Bescheid zu geben, dass der Schaden bezahlt werden solle.
2 Aus den Gründen:
" … Der Kl. steht gegen die Bekl. kein Anspruch wegen der Beschädigung des Unfallfahrzeugs zu, weil die Bekl. wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach E 1.3 gem. E 6.1 und 6.2 AKB leistungsfrei geworden ist."
(1.) Nach Buchst E 1.3 AKB ist der VN verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann; insb. darf er den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.
Schon in früheren Fassungen der AKB, welche die “Unfallflucht‘ nicht ausdrücklich als Obliegenheitsverletzung definierten, war anerkannt, dass die vertragliche Aufklärungsobliegenheit, “alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann‘, auch die in § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Rechtspflichten umfasste (BGH VersR 2000, 222 … ). Die – von der Klausel nach wie vor stillschweigend in Bezug genommene – Vorschrift des § 142 StGB sanktioniert das Verhalten eines Unfallbeteiligten, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Gem. § 142 Abs. 2 StGB wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich zwar nach Ablauf einer angemessenen Wartezeit (§ 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB) bzw. berechtigt oder entschuldigt (§ 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB) vom Unfallort entfernt, die Feststellungen jedoch nicht unverzüglich nachträglich durch ein den Anforderungen des § 142 Abs. 3 StGB genügendes Verhalten ermöglicht hat.
Die Strafvorschrift entfaltet einen Schutzreflex für das Aufklärungsinteresse der Kraftfahrzeugversicherung, weil das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen mittelbar au...