AHR MPM Nr. 2.2.6.
Leitsatz
Wer seinen Wohnungsschlüssel in dem Korb eines Fahrrads aufbewahrt und das Fahrrad kurzfristig unbeobachtet abstellt, ermöglicht den Versicherungsfall Diebstahl auch dann fahrlässig, wenn er sich in der Nähe des Fahrrads aufhält.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Münster, Urt. v. 8.9.2016 – 115 O 265/15
Sachverhalt
Die Kl. begehrt von der Bekl. Versicherungsentschädigung für Gegenstände, die aus ihrer Wohnung entwendet worden sind. Für den Hausrat in ihrer Wohnung M-Straße 9 in M unterhält die Kl. bei der Bekl. eine Hausratversicherung. Zu den versicherten Gefahren gehört Einbruchdiebstahl.
Ziff. 2.6.6. der AHR enthält folgende Regelung zum Einbruchdiebstahl:
"Einbruchdiebstahl liegt vor, wenn der Dieb in einen Raum eines Gebäudes mittels richtigem Schlüssel eindringt, den er innerhalb oder außerhalb des Versicherungsortes durch Diebstahl an sich gebracht hatte, vorausgesetzt, dass weder Sie noch der Gewahrsamsinhaber den Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten ermöglicht hatte."
Am Samstag, dem 20.7.2013, war die Kl. nach 4.00 Uhr morgens in Münster zusammen mit einem Bekannten, Herrn C, auf dem Rückweg von einer Betriebsfeier, auf der sie Alkohol konsumiert hatte. Ihr Fahrrad wurde dabei von Herrn C geschoben, ihre Handtasche mit Wohnungsschlüssel, Geldbörse, Personalausweis, iPhone, Sonnenbrille und Lesebrille hatte die Kl. im Fahrradkorb abgelegt, der auf dem Gepäckträger ihres Fahrrades befestigt war. Außer dem Fahrrad der Kl. schob Herr C auch sein eigenes Fahrrad. Auf der B-Straße stellte Herr C beide Fahrräder an einer Säule ab, die Kl. und Herr C umarmten und küssten sich ein kurzes Stück von den Fahrrädern entfernt. Während dieser Zeit entwendeten unbekannte Täter die Handtasche der Kl. aus dem Fahrradkorb.
Nachdem die Kl. das Fehlen der Handtasche bemerkt hatte, erschienen inzwischen verständigte Polizeibeamte auf der B-Straße; diese rieten der Kl., dass sie umgehend ihre Wohnung aufsuchen sollte.
Die Kl. übernachtete in der Wohnung ihrer Mutter, N-Straße 13 in M, die etwa 30 Meter von ihrer eigenen Wohnung entfernt liegt. Ob die Kl. zuvor noch bei ihrer eigenen Wohnung angeklingelt hatte, ist zwischen den Parteien streitig.
Am nächsten Morgen begab sich die Kl. mit einem Zweitschlüssel, den sie bei ihrer Mutter deponiert hatte, zu ihrer eigenen Wohnung und stellte fest, dass zwischenzeitlich Gegenstände aus ihrer Wohnung entwendet worden waren. Spuren eines gewaltsamen Eindringens in die Wohnung waren nicht vorhanden. Um 9.56 Uhr meldete die Kl. bei der Polizei die Entwendung von Gegenständen aus ihrer Wohnung.
2 Aus den Gründen:
" … Die Kl. hat aus dem zwischen den Parteien bestehenden Hausratversicherungsvertrag keinen Anspruch gegen die Bekl. auf Versicherungsleistungen für am 20.7.2013 abhanden gekommene Gegenstände."
Nach dem Versicherungsvertrag genießt der VN gegenüber dem VR Versicherungsschutz, wenn versicherte Sachen durch Einbruchdiebstahl abhandenkommen. Gem. Ziff. 2.6.1 der Versicherungsbedingungen liegt der Versicherungsfall des Einbruchdiebstahls vor, wenn der Dieb in einen Raum eines Gebäudes einbricht, einsteigt oder mittels eines Schlüssels, dessen Anfertigung für das Schloss nicht von einer dazu berechtigten Person veranlasst oder gebilligt worden ist (falscher Schlüssel) oder mittels anderer Werkzeuge eindringt; der Gebrauch eines falschen Schlüssels ist nicht schon dann bewiesen, wenn feststeht, dass versicherte Sachen abhandengekommen sind.
Gem. Ziff. 2.6.6. der Versicherungsbedingungen liegt der Versicherungsfall des Einbruchdiebstahls ferner auch dann vor, wenn der Dieb in einen Raum eines Gebäudes mittels richtigem Schlüssel eindringt, den er innerhalb oder außerhalb des Versicherungsortes durch Diebstahl an sich gebracht hatte, vorausgesetzt, dass weder der VN noch der Gewahrsamsinhaber den Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten ermöglicht hatte.
Ein Versicherungsfall des Einbruchdiebstahls in Form des “Einbrechens in einen Raum eines Gebäudes‘ gem. Ziff. 2.6.1 der Versicherungsbedingungen liegt nicht vor, da die Entwendung von Gegenständen aus der Wohnung der Kl. unstreitig ohne Einbruchspuren unter Benutzung des eigenen Schlüssels der Kl. erfolgt ist.
Als Versicherungsfall kommt damit nur das Eindringen “mittels richtigem Schlüssel‘ in Betracht, den der Dieb “durch Diebstahl an sich gebracht‘ hat, ohne dass der Kl. als Versicherte und gleichzeitig Gewahrsamsinhaberin insoweit ein fahrlässiges Verhalten zur Last zu legen wäre.
Diese Regelung in Ziff. 2.6.6 der Versicherungsbedingungen ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.
Diese sog. Erweiterte Schlüsselklausel ist ihrem klaren Wortlaut nach nicht als ein Risikoausschluss zu verstehen, sondern enthält im Gegenteil insoweit eine Ergänzung des Versicherungsschutzes, als ein Einbruchdiebstahl als versichertes Risiko bei dieser Begehungsform an sich gar nicht vorliegt. Denn es fehlt das typische Gepräge der übrigen Varianten, bei denen dem Täter die Überwindung besonderer Schutzmaßnahmen abverlang...