StVO § 18 Abs. 3
Leitsatz
1. Damit ein Verstoß gegen die Regelung des § 18 Abs. 3 StVO vorliegen kann, muss ein Mindestmaß an Bewegung im Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn der Autobahn geherrscht haben.
2. Die Vorfahrtsregelung des § 18 Abs. 3 StVO kann allerdings nicht schon bei jeglichem verkehrsbedingten Halt auf der durchgehenden Fahrbahn – und sei er auch zeitlich noch so kurz – keine Geltung mehr haben. Erst wenn der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn in einer Weise zum Stehen gekommen ist, dass mit einer erneuten Fahrbewegung in kürzerer Frist nicht zu rechnen ist, ist das der Fall.
OLG Hamm, Beschl. v. 3.5.2018 – 4 RBs 117/18
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. wegen fahrlässiger Nichtbeachtung der Vorfahrt gem. §§ 18 Abs. 3, 1 Abs. 2, 49 StVO zu einer Geldbuße von 110 EUR verurteilt. Das AG hat zur Tat folgende Feststellungen getroffen: "Am (…) bestand auf der zweispurigen Bundesautobahn A (…) in Fahrtrichtung A (…) Stau. Der Zeuge (…) befuhr mit einer Sattelzugmaschine den rechten Fahrstreifen. Der Betr. wollte vom Beschleunigungsstreifen auf den rechten Fahrstreifen auffahren. Unmittelbar vor ihm fuhr der Zeuge C, der vollständig auf den rechten Fahrstreifen gewechselt hat und aufgrund eines vor ihm stehenden Sattelzugs stehen bleiben musste. Aufgrund der Verkehrslage konnte der Betr. nicht vollständig die Fahrspur wechseln und blieb schräg zwischen dem Beschleunigungsstreifen und der rechten Fahrspur stehen. Dabei stand das Fahrzeug auf dem Markierungsstreifen mit dem vorderen rechten und dem hinteren linken Rad. Der Zeuge X fuhr an und übersah den Betr. Es kam zu einer Kollision beider Fahrzeuge."
Das AG geht in den Entscheidungsgründen u.a. davon aus, dass der Betr. wartepflichtig gewesen sei. Er habe seinen "Überholvorgang" auf dem rechten Fahrstreifen zu einem Zeitpunkt begonnen, zu dem er nicht mit Sicherheit habe sagen können, dass er ihn vollständig beenden können würde. Damit habe er sich das Überholen gegenüber dem Vorfahrtsberechtigen erzwingen wollen.
Das OLG Hamm hat die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen, weil die Rechtsfrage, inwieweit § 18 Abs. 3 StVO auch dann gilt, wenn der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn steht, einer obergerichtlichen Klärung bedarf. Anschließend hat das OLG Hamm das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"… Die vom Einzelrichter zur Fortbildung des Rechts zugelassene und auf den Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern übertragene Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das AG (§ 79 Abs. 6 OWiG)."
Die bisherigen Feststellungen ergeben keinen Verstoß gegen § 18 Abs. 3 StVO. Zutreffend geht das AG zwar davon aus, dass der auf eine Autobahn Auffahrende das Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs zu beachten hat (OLG Hamm VersR 1994, 952), und zwar auch dann, wenn zähfließender Verkehr und staubedingt “Stop-and-Go-Verkehr' herrscht (LG Essen, Beschl. v. 8.4.2013 – 15 S 48/13, juris). Wie schon die Formulierung im Gesetz “Vorfahrt' zeigt, muss allerdings ein Mindestmaß an Bewegung im Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn der Autobahn geherrscht haben, da ansonsten nicht von “Fahrt' gesprochen werden kann. Steht der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn hingegen, so gibt es keine “Vorfahrt', die Vorrang haben könnte. Bei stehendem Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn würde es auch keinen Sinn machen, den Auffahrenden dazu zwingen zu wollen, eine bestehende – hinreichend große – Lücke zwischen zwei stehenden Fahrzeugen nicht zu nutzen.
Das bedeutet allerdings nicht, dass schon bei jeglichem verkehrsbedingten Halt auf der durchgehenden Fahrbahn – und sei er auch zeitlich noch so kurz – bereits die Vorfahrtsregelung des § 18 Abs. 3 StVO keine Geltung mehr beanspruchen könnte. Erst wenn der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn in einer Weise zum Stehen gekommen ist, dass mit einer erneuten Fahrbewegung in kürzerer Frist nicht zu rechnen ist, ist das der Fall. Ansonsten würde die Regelung ausgehebelt. Der Senat bestätigt daher ausdrücklich die Rechtsprechung, dass § 18 Abs. 3 StVO auch bei sog. Stop-and-Go-Verkehr gilt.
Nach den Feststellungen des AG stand hier aber der Lkw des Zeugen X. Konkrete Feststellungen zur Dauer dieser Standzeit enthält das Urteil nicht. Aus der Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung ergibt sich allerdings, dass der Zeuge X bekundet hatte, dass er etwa drei bis vier Minuten gestanden habe. Sollte tatsächlich eine solch lange Standzeit geherrscht haben, so konnte der Betr. dessen Vorfahrt unter Zugrundelegung der o.g. Grundsätze nicht missachten. Vielmehr musste der Zeuge X beim Anfahren den vor ihm liegenden Fahrweg auf etwaige Hindernisse kontrollieren. Dabei macht es für § 18 Abs. 3 StVO keinen Unterschied, ob der Betr. bereits ganz oder nur teilweise auf der Fahrbahn eingefädelt war.
Der neue Tatrichter wird aufzuklären haben, inwieweit sich das Fahrzeug des Zeugen X in einer Fahrbewegung befand, ...