I. BGH v. 3.7.2019 – IV ZR 195/18, juris ("Passivrechtsschutz")
1. Sachverhalt
Der Kläger, der bei der Beklagten seit dem 1.6.2015 eine Rechtsschutzversicherung hält, der Allgemeine Rechtsschutz-Versicherungsbedingungen der Beklagten (A. ARB/2012, im Folgenden: ARB 2012) zugrunde liegen, verlangt die Freistellung von einer anwaltlichen Kostenforderung. In den Versicherungsbedingungen heißt es unter anderem:
Zitat
"§ 4 Voraussetzungen für den Anspruch auf Rechtsschutz"
(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt des Rechtsschutzfalles
a) im Schadenersatz-Rechtsschutz (…)
b) im Rechtsschutz für Familien-, Lebenspartnerschafts- und Erbrecht (…)
c) in Betreuungsverfahren (…)
d) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.
Die Voraussetzungen nach a) bis d) müssen nach Beginn des Versicherungsschutzes (…) und vor dessen Beendigung eingetreten sein.
(…)
(2) (…) Sind für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen mehrere Rechtsschutzfälle ursächlich, ist der erste entscheidend. (…)
(3) Es besteht kein Rechtsschutz, wenn
a) eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß nach Abs. 1d) ausgelöst hat. …“
Mit Kaufvertrag vom 18.6.2014 hatte der Kläger sein gebrauchtes Kfz Mercedes SLK 200 verkauft und der Käuferin, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, schriftlich zugesichert, Unfallschäden an einer Achse und einer Stoßstange seien behoben. Mit Anwaltsschreiben vom 9.10.2015 machte die Käuferin Gewährleistungsrechte geltend und warf dem Kläger vor, die Schäden seien in Wahrheit nicht behoben. Um sich hiergegen zu verteidigen, beauftragte der Kläger eine Rechtsanwaltskanzlei. Auf deren Deckungsanfrage vom 11.11.2015 erklärte sich die Beklagte für leistungsfrei, weil der Versicherungsfall vor Beginn der Rechtsschutzversicherung eingetreten sei. Nachfolgend ließ die Käuferin ein selbstständiges Beweisverfahren durchführen. Mit Schreiben vom 13.6.2017 stellten die vom Kläger beauftragten Rechtsanwälte für ihre Tätigkeit 1.425,38 EUR in Rechnung. Von dieser Forderung möchte der Kläger aufgrund der Rechtsschutzversicherung freigestellt werden. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt er sein Freistellungsbegehren weiter.
2. Rechtliche Würdigung
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Der Kläger hat aus dem bei der Beklagten gehaltenen Rechtsschutzversicherungsvertrag Anspruch auf Freistellung von der Forderung seiner Rechtsanwälte i.H.v. 1.425,38 EUR wegen deren Vertretung des Klägers in der rechtlichen Auseinandersetzung mit der Käuferin seines Gebrauchtfahrzeugs. Der Versicherungsfall ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts in versicherter Zeit eingetreten. Maßgeblicher Verstoß i.S.v. § 4 (1) S. 1 Buchst. d ARB 2012 ist hier allein das nach dem Vorbringen des Klägers ungerechtfertigte Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen durch die Käuferin seit dem 9.10.2015. Auf den Zeitpunkt des Gebrauchtwagenkaufs und der Übergabe des Fahrzeugs kommt es deshalb nicht an, weil der Kläger seine Verteidigung nicht auf einen eigenen Rechtsverstoß stützt.
Ob der Rechtsschutzfall in versicherter Zeit eingetreten ist, ist hier nach § 4 (1) S. 1 Buchst. d ARB 2012 zu bestimmen. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. nur Senatsurt. v. 6.7.2016 – IV ZR 44/15, BGHZ 211, 51 Rn 17 m.w.N.; st. Rspr.). Unter Zugrundelegung dieses Auslegungsmaßstabes hat der Senat in jüngerer Zeit an seiner früheren Rechtsprechung zur Auslegung des § 14 (3) ARB 75, der insoweit eine dem § 4 (1) S. 1 Buchst. d ARB 2012 im Wesentlichen gleichlautende Regelung enthält, in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer Ansprüche gegen einen anderen erhob (sog. Aktivprozess-Fälle), aber auch in einem Fall, in dem sich der Versicherungsnehmer im Streit um Krankenversicherungsleistungen unter anderem gegen eine Aufrechnung seiner Anspruchsgegnerin mit Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung wehrte, nicht mehr festgehalten (vgl. dazu Senatsurt. v. 25.2.2015 – IV ZR 214/14, r+s 2015, 193 Rn 14, 15 m.w.N.).
Danach entnimmt der durchschnittliche Versicherungsnehmer zum einen dem Leistungsversprechen des Rechtsschutzversicherers, dass dieser es übernimmt, die Wahrnehmung seiner rechtlichen ...