BGB § 826; EG 715/2007 Art. 5 Abs. 2
Leitsatz
Das Inverkehrbringen eines Kfz, dessen Dieselmotor mit einem "Thermofenster" ausgestattet ist, stellt keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Käufers dar. Es kann dabei offen bleiben, ob ein "Thermofenster" eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 ist.
OLG Dresden, Urt. v. 9.7.2019 – 9 U 567/19 (nicht rechtskräftig)
Sachverhalt
Der Kl. verfolgt die Verurteilung der Bekl. zur Leistung von Schadensersatz mit der Begründung, der von ihm erworbene Pkw, den die Bekl. hergestellt hat, sei vom sog. Abgasskandal betroffen. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes wegen seines Abgasverhaltens nicht betroffen. In der ersten Instanz wurde die Klage mit der Begründung abgewiesen, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bekl. eine Motorsteuerungssoftware eingebaut habe, die erkenne, ob auf dem Prüfstand ein Abgastest durchgeführt werde oder ob das Fahrzeug sich auf der Straße befinde.
In der Berufung trägt der Kl. – übereinstimmend mit der Bekl. – erstmals vor, das Fahrzeug sei mit einem sog. Thermofenster versehen.
Hiermit wird eine außentemperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführungsrate bezeichnet. Die Abgasrückführung wird von Automobilherstellern seit langem zur Vermeidung von Stickoxid-Entstehung eingesetzt. Hierzu wird Abgas des Fahrzeugs über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet. Es ersetzt dort einen Teil der Frischladung. Dadurch wird eine Absenkung der Verbrennungstemperatur erreicht, wodurch weniger Stickoxide entstehen.
Darin sieht der Kl. eine unzulässige Abschaltvorrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007. Der Hersteller täusche damit über den angeblich uneingeschränkt zulässigen Einsatz des Kfz im Straßenverkehr, was auch sittenwidrig sei. Die Bekl. tritt dem entgegen und behauptet, das Thermofenster sei zur Abgasrückführung notwendig. Ansonsten könnten bei kalten Temperaturen Schäden am Motor durch Versottung eintreten. Das Thermofenster werde von allen Herstellern von Dieselmotoren verwendet. Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… [20] 1. Dem Kl. steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch zu."
[21] a) Der Kl. hat keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB, weil es an einem sittenwidrigen Verhalten fehlt. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch die umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urt. v. 19.11.2013 – VI ZR 336/12, juris Rn 9).
[22] Der Kl. beruft sich hinsichtlich der von ihm behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung nunmehr auf das Thermofenster. Dass eine andere Abschalteinrichtung eingebaut sei, behauptet der Kl. nicht. Er hatte hierzu auch in erster Instanz ohnehin nur unspezifisch unter Hinweis auf andere Fahrzeugtypen, die die Bekl. hergestellt hat, verwiesen. Daraus kann aber ein Rückschluss auf den vorliegenden Fahrzeugtyp nicht gezogen werden. Der Senat schließt sich insofern den Ausführungen des LG an.
[23] Der Vortrag des Kl. zum Thermofenster ist zu berücksichtigen, obwohl er erstmals in der zweiten Instanz vorgebracht wurde. Denn dass das Fahrzeug mit einem Thermofenster ausgerüstet ist, ist unstreitig. In einem solchen Fall ist das Vorbringen in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen, selbst wenn dadurch eine neue Beweisaufnahme notwendig würde (BGH, Beschl. v. 13.1.2015 – VI ZR 551/13, juris Rn 5).
[24] Die Verwendung eines Thermofensters verstößt aber nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Es kann dabei dahinstehen, ob das Thermofenster – aus Sicht des Senats – eine unzulässige Abschalteinrichtung gem. Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) 715/2007 darstellt. Eine solche Ausrampung der Abgasrückführungsmenge wurde jedenfalls von vielen Herstellern standardmäßig in Dieselmotoren verwendet. Der Kl. hat zwar den Vortrag der Bekl. bestritten, dass alle Dieselhersteller Thermofenster nutzten. Ob alle Dieselhersteller die Abgasrückführungsrate mittels Thermofenster steuern oder nur einige, ist letztlich nicht entscheidungserheblich. Es ist indes allgemeinkundig und bedarf daher keines Beweises (§ 291 ZPO), dass viele Hersteller solche Steuerungen verwenden. Das ergibt sich aus dem ausführlichen Bericht der Untersuchungskommission "Volkswagen" des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/Strasse/bericht-untersuchungskommission-volkswagen.pdf). Die Untersuchungskommission führte darin aus (S. 18 f.), dass f...