RVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; VV RVG Nrn. 2300 3100, Vorbem. 3 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, hängt von der Art und dem Umfang des dem Rechtsanwalt im Einzelfall erteilten Mandats ab.
2. Erteilt der Mandant dem Rechtsanwalt den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (siehe Vorbem. 3 Abs. 1 S. 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für den Anfall der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist in diesem Fall kein Raum mehr.
3. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandates erteilter Prozessauftrag steht dem Anfall der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 15.8.2019 – III ZR 205/17
Sachverhalt
Die Kl. hatte die Bekl. vor dem LG Hannover unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Dabei begehrte die Kl. die Rückabwicklung verschiedener Fondsbeteiligungen, die Feststellung des Annahmeverzugs der Bekl., den Ersatz entgangener Anlagezinsen, die Feststellung der Pflicht der Bekl. zur Freistellung von allen Schäden und Nachteilen sowie die Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten. Hintergrund dieses Freistellungsantrags war, dass der spätere Prozessbevollmächtigte der Kl. die Bekl. vorprozessual zur Zahlung aufgefordert hatte. Die Kl. hatte die Freistellung von der Zahlung einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG nebst Auslagen verlangt. Hierzu hatte die Kl. eine "Vollmacht" vom 7.4.2014 vorgelegt, die ausdrücklich auch die "Prozessführung" umfasste. Ferner hat die Kl. ihren Anspruch auf den "Unbedingten Klageauftrag" vom 6.12.2014 gestützt. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Berufungssenat des OLG Celle hatte die Kl. erklärt, sie habe das Mandat ausdrücklich zunächst auf die außergerichtliche Tätigkeit beschränkt.
Das LG Hannover hat die Klage insgesamt abgewiesen. Auf die Berufung der Kl. hat das OLG Celle das erstinstanzliche Urteil zugunsten der Kl. teilweise geändert. Hinsichtlich der Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat das OLG Celle die Berufung zurückgewiesen. Dies hat das OLG Celle damit begründet, die Kl. habe nicht hinreichend dargetan, dass sie ihren Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit ihrer außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt habe.
Gegen die teilweise Stattgabe der Klage hat die Bekl. Revision eingelegt. Die Kl. hat ihrerseits im Umfang der Klageabweisung Anschlussrevision eingelegt. Auf die Revision der Bekl. hat der BGH das Berufungsurteil des OLG Celle im Umfang der Anfechtung aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen. Demgegenüber blieb die Anschlussrevision der Kl. ohne Erfolg. Dies gilt auch hinsichtlich des Antrags der Kl. auf Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten.
2 Aus den Gründen:
"… B …"
[42] 3. Ohne Erfolg bleiben auch die Angriffe der Anschlussrevision gegen die Versagung der Befreiung von außergerichtlichen Anwaltskosten (Antrag zu B).
[43] a) Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats (BGH zfs 2013, 406 m. Anm. Hansens = RVGreport 2013, 310 (Hansens) = AGS 2013, 252 und Urt. v. 28.5.2013 – XI ZR 421/10, BeckRS 2013, 10761 Rn 33, jeweils m.w.N.). Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbem. 3 Abs. 1 S. 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen (BGH zfs ...