ZPO § 284 § 373 § 544 Abs. 7

Leitsatz

Die Zurückweisung einer beantragten Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass diese Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann; weder die Unwahrscheinlichkeit der Tatsache noch die Unwahrscheinlichkeit der Wahrnehmung der Tatsache durch den benannten Zeugen berechtigen den Tatrichter schon dazu, von der Beweisaufnahme abzusehen.

BGH, Beschl. v. 12.12.2018 – XII ZR 99/17

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die vorzeitige Beendigung eines auf 10 Jahre befristeten Mietverhältnisses über ein von einem Autohaus genutztes Grundstück. Der klagende Vermieter machte gegenüber der Mieterin angenommene Mietrückstände und die Feststellung geltend, dass das Mietverhältnis nicht durch ein der Mieterin eingeräumtes Sonderkündigungsrecht vorzeitig beendet worden sei. Ein Sonderkündigungsrecht war der beklagten Mieterin dann eingeräumt worden, wenn der Händlervertriebsvertrag zwischen der B. AG und der Mieterin über das Vertriebsgebiet ende oder die B. AG eine Standortverlegung verlange. In dem Rechtsstreit der Parteien machte die Mieterin geltend, die B. AG habe den Händlervertriebsvertrag nur bei einer Sitzverlegung verlängert, und legte zum Nachweis hierfür Schreiben der B. AG vor. Der Vermieter hielt die Schreiben für inhaltlich unrichtige Gefälligkeitsbescheinigungen und bezog sich auf einen Zeugen, der als Vertriebsleiter der B. AG tätig ist. LG und OLG verneinten den Klageanspruch und lehnten eine Vernehmung des Zeugen ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Kl. hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen:

"… [5] Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Die zugelassene Revision führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BG."

[6] 1. Das BG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Bekl. habe durch die beiden Schreiben der B. AG aus dem Jahr 2012 i.V.m. der Aussage des Zeugen G. bewiesen, dass ihre Kündigung auf einem Verlangen der B. AG nach Verlagerung des Standorts als Voraussetzung für eine Verlängerung des am 30.9.2013 auslaufenden Händlervertrages beruht habe. Die Indizien, welche die Kl. dafür angeführt hätten, dass diesen Schreiben als "Gefälligkeitsbescheinigungen" kein ernsthaftes Verlangen nach Verlagerung des Standortes zugrunde gelegen habe, seien vom LG zu Recht als nicht durchgreifend erachtet worden. Zwar sei nicht zu verkennen, dass die Forderung der B. AG mit hoher Wahrscheinlichkeit einem Interesse der Bekl. entgegengekommen sein dürfte, die auf dem 2008 erworbenen Grundstück neu errichtete Betriebsstätte bereits jetzt eröffnen und das bisherige Objekt vor Ablauf der regulären Mietzeit verlassen zu können. Dies rechtfertige es aber nicht schon, die Verlagerungsforderung als vorgeschoben zu bewerten. Auch habe das LG zu Recht von der Vernehmung des in erster Instanz mehrfach benannten Zeugen K. abgesehen. Dieser habe seine Position als Vertriebsleiter Deutschland der B. AG erst seit dem 1.3.2013 ausgeübt und sei zuvor für die B. AG in Asien tätig gewesen. Zur Frage der Ernsthaftigkeit der Forderung der B. AG nach Verlagerung des Standorts laut deren Schreiben vom 14.5.2012 und vom 3.9.2012 könne der Zeuge K. daher – im Gegensatz zu dem vernommenen Zeugen G. – mit Angaben aus eigener Kenntnis nicht beitragen. Ob ein generelles Junktim zwischen der Umsetzung des "Standards 2013+" und einem neuen Händlervertrag von der B. AG im Laufe des Jahres 2013 aufgeweicht worden sei oder von vornherein nicht durchgehend bestanden habe, könne dahinstehen. Denn jedenfalls gegenüber den Bekl. sei diese Verknüpfung alternativlos geltend gemacht worden.

[7] 2. Zu Recht beanstanden die Kl., dass das BG seine Feststellungen unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) getroffen hat.

[8] a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senatsbeschlüsse v. 27.9.2017 – XII ZR 54/16 – NJW-RR 2018, 74 Rn 7 und v. 7.9.2011 – XII ZR 114/10 – GuT 2012, 268 Rn 9 m.w.N.). So liegt der Fall hier.

[9] b) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das BG die von den Kl. beantragte Vernehmung des Zeugen K. nicht hätte ablehnen dürfen. Die Kl. haben den Zeugen K. – unter anderem – zum Beweis der Tatsache benannt, dass der Händlervertrag der Bekl. für das Vertriebsgebiet W. von der ...

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