"… Die nach der teilweisen Rücknahme verbleibende Berufung ist zulässig und begründet."
Denn die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Festsetzung von Verwaltungskosten durch den Bescheid der Bekl. v. 8.12.2017 sind rechtswidrig und verletzen den Kl. in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Zutreffend und übereinstimmend setzen die Beteiligten voraus, dass im Anfechtungsprozess gegen die Entziehung einer Fahrerlaubnis der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige des Ergehens der letzten Behördenentscheidung ist (vgl. OVG Schl.-Hol., Beschl. v. 27.1.2017 – 4 MB 3/17, zfs 2017, 238 ff., hier zitiert nach juris, Rn 6 und 7). Das zu diesem Zeitpunkt gültige und insoweit unverändert fortgeltende materielle Recht sieht eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem allerdings lediglich bei einem Stand von acht oder mehr Punkten im Fahreignungsregister vor (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG). Für das Ergreifen dieser Maßnahme ist dabei auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder – wie hier – Ordnungswidrigkeit ergeben hat (§ 4 Abs. 5 S. 5 StVG). Maßgeblich ist deshalb im vorliegenden Falle der Punktestand, den der Kl. am 1.5.2017 erreicht hatte. Übereinstimmend und zutreffend sind die Beteiligten der Ansicht, dass dieser Punktestand (vor dem Hintergrund der Regelungen unter Nr. 3.2.2 der Anlage 13 a.F. zu § 40 FeV über die Bewertung von Verstößen gegen Vorschriften über die Geschwindigkeit i.S.d. lfd. Nrn. 11.3.4 und 11.3.5 der Tabelle 1 des Anhangs des Bußgeldkatalogs a.F. mit nur einem Punkt) nur dann acht Punkte betragen haben kann, wenn sich damals auch aus der Ahndung der Geschwindigkeitsüberschreitung des Kl. v. 18.12.2015 ein weiterer Punkt ergab. Zwar ergeben sich gem. § 4 Abs. 2 S. 3 StVG Punkte bereits mit der Begehung der Ordnungswidrigkeit, sofern diese rechtskräftig geahndet wird. Daraus folgt indessen nicht, dass es darauf, wann diese Rechtskraft eingetreten ist, nicht ankommt. Vielmehr ist erforderlich, dass sie (bereits) zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Grundsatz maßgeblichen Zeitpunkt, hier also demjenigen des Ergehens des angefochtenen Bescheides v. 8.12.2017 durch Zustellung an den Kl. am 14.12.2017, gegeben war. (Der Zeitpunkt des § 4 Abs. 5 S. 5 StVG kommt schon deshalb nicht als auch insoweit maßgeblich in Betracht, weil die letzte zur Ergreifung einer Maßnahme führende Tat am Tattag schwerlich rechtskräftig geahndet sein kann.)
Auszugehen ist allerdings davon, dass es an einer ausdrücklichen oder im Wege der Analogie übertragbaren Spezialregelung dafür fehlt, welche Auswirkungen die Gewährung von Wiedereinsetzung in die versäumte Frist für ein Rechtsmittel gegen eine strafgerichtliche Entscheidung oder einen Bußgeldbescheid auf bereits ergriffene Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem hat. Unmittelbar einschlägig sind insbesondere weder § 29 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 StVG, der den Fall der Aufhebung einer Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren betrifft, noch § 29 Abs. 3 Nr. 3 StVG, der sich auf Fälle der Aufhebung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung (Trautmann, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 29 StVG Rn 20) sowie auf die sich nach § 63 Abs. 2 FeV richtenden Tilgungen vorläufiger gerichtlicher Fahrerlaubnisentziehungen, anfechtbarer Entscheidungen der Fahrerlaubnisbehörde und gem. § 28 Abs. 3 Nr. 9 StVG einzutragender Entscheidungen nach § 94 StPO bezieht (vgl. Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 29 StVG Rn 15).
Zwar wurden in der älteren Literatur die Fälle der Wiederaufnahme und der Wiedereinsetzung – ohne nähere Begründung – parallelisiert und wurde auch für die Letztgenannten nur die Möglichkeit thematisiert, nach einer Gewährung von Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist und der Aufhebung des Bußgeldbescheides dem Geschehen durch Rücknahme der auf den Bußgeldbescheid aufbauenden Entziehungsverfügung Rechnung zu tragen (vgl. Zwerger, zfs, 2009, 128 ff., unter 2.; Dauer, in: Hentschel/König Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 4 StVG Rn 79; Stieber, in: Freymann/Wellner [Hrsg.], jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 4 StVG [Stand: 2.5.2017] Rn 57). Sähe man in § 29 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 StVG eine auf die Wiedereinsetzung übertragbare abschließende Regelung und kombinierte man diese zudem mit der – dann zumindest dem Wortlaut nach – als einschlägig erscheinenden Regelung über die Nichtberücksichtigung nachträglicher Tilgungen in § 4 Abs. 5 S. 7 StVG, so ließe sich im vorliegenden Falle gleich aus zwei Gründen zur Unerheblichkeit der gewährten Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gelangen. Denn der Bußgeldbescheid des Landkreises H. v. 23.2.2016, durch den die Geschwindigkeitsüberschreitung v. 18.12.2015 geahndet worden war, wurde in dem auf die Wiedereinsetzung und den Einspruch des Kl. durchgeführten gerichtlichen Verfahren...