GG Art. 80 Abs. 1 S. 3; StVG § 24 § 25; OWiG § 17
Leitsatz
1. Bei einer vor Inkrafttreten der 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020 [BGBl I, 814] begangenen, jedoch erst nach deren Inkrafttreten am 28.4.2020 erfolgten Verurteilung wegen einer Abstandsunterschreitung kann bei unverändert vorgesehener Sanktionsfolge dahinstehen, ob aufgrund des fehlenden Zitats der Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG in der vorgenannten Verordnung ein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG zu erblicken ist und ob dieser gegebenenfalls die (Teil-)Nichtigkeit der Bußgeldkatalog-Verordnung zur Folge hätte. Denn selbst bei einer Nichtigkeit der 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020 bleibt die Bußgeldkatalog-Verordnung in ihrer bisherigen Fassung weiterhin Grundlage für die Ahndung.
2. Die Bußgeldkatalog-Verordnung ist lediglich ein Instrument zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung. Die Rechtsgrundlage für die Verhängung von Geldbußen bzw. die Anordnung von Fahrverboten folgt aber weiterhin unmittelbar aus §§ 24, 24a, 25 StVG i.V.m. § 49 StVO, § 17 OWiG (u.a. Anschluss an BGH, Beschl. v. 28.11.1991 – 4 StR 366/91, BGHSt 38, 125; KG, Beschl. v. 27.4.2020 – 3 Ws (B) 49/20 – 122 Ss 19/20, BeckRS 2020, 18279).
BayObLG, Beschl. v. 11.11.2020 – 201 ObOWi 1043/20
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. am 25.5.2020 wegen eines am 26.8.2019 fahrlässig begangenen Abstandsverstoßes zu einer Geldbuße von 320 EUR sowie einem Monat Fahrverbot mit Schonfrist verurteilt. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betr. insbesondere, dass infolge der am 28.4.2020 in Kraft getretenen StVO-Novelle, durch die auch die BKatV neu gefasst werden sollte, keine Rechtsgrundlage mehr für die Verhängung eines Fahrverbotes bestehe. In der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften v. 20.4.2020 fehle der erforderliche Hinweis auf die Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG, sodass wegen des Verstoßes gegen das Zitiergebot nach Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG die Neufassung der BKatV die Verhängung von Fahrverboten nicht mehr gestatte. Im Hinblick auf § 4 Abs. 3 OWiG verbiete sich die weitere Anwendung der BKatV in ihrer bisherigen Fassung, da sich die neue – nichtige – Regelung für den Betr. als günstiger darstelle. Das BayObLG hat die Rechtsbeschwerde des Betr. als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
"… II."
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG statthaften und auch sonst zulässigen Rechtsbeschwerde deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. auf (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG).
1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Insbesondere handelt es sich bei der Abstandsmessung mit dem Verfahren VKS 3.0 um ein standardisiertes Messverfahren, bei dem es grds. ausreicht, dass im Urteil das angewendete Messverfahren und das Messergebnis – also die gemessene Geschwindigkeit nebst Toleranzabzug sowie der ermittelte vorwerfbare Abstandswert – mitgeteilt werden. Erst bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass Verfahrensbestimmungen nicht eingehalten wurden oder – substantiiert – Messfehler behauptet werden, müssen im Urteil hierzu Ausführungen gemacht werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.11.2017 – 6 Ss 681/17). Für derartige Fehler geben die im Rahmen der Sachrüge allein maßgeblichen Urteilsfeststellungen keine Anhaltspunkte.
2. Auch die Rechtsfolgenentscheidung lässt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. erkennen.
a) Zur Begründung kann zunächst auf die zutreffende Stellungnahme der GenStA in ihrer Antragsschrift vom 11.8.2020 Bezug genommen werden.
b) Der ergänzenden Erörterung bedarf allerdings die von der Rechtsbeschwerde unter Berufung auf die Nichtigkeit der am 28.4.2020 in Kraft getretenen 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020 [BGBl I, 814] eingewandte “Ahndungslücke'. Eine solche Ahndungslücke, welche über die Regelung des § 4 Abs. 3 OWiG zur Sanktionslosigkeit der im vorliegenden Fall führen könnte oder zumindest die Verhängung eines Fahrverbotes verbietet, besteht nicht.
aa) Der Senat kann in der hier inmitten stehenden Fallkonstellation (Zeitpunkt der Tat vor Inkrafttreten der StVO-Novelle und Zeitpunkt der Urteilsfindung nach Inkrafttreten der StVO-Novelle; keine Änderung der Sanktion durch die Neufassung der BKatV) dahin stehen lassen, ob aufgrund des fehlenden Zitats der Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG in der genannten Verordnung ein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG vorliegt und ob ein solcher mutmaßlich auf einem redaktionellen Versehen beruhender Verstoß zur Nichtigkeit der Regelung führt (vgl. hierzu grundlegend BVerfG NJW 1999, 3253, 3256; jüngst auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 8.10.2020 – 2 Ss [OWi] 230/20). Damit kann auch die Frage offen bleiben, ob der genannte Verstoß zur vollständigen Nichtigkeit der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtl...