VVG § 100 § 102 § 23 § 26
Leitsatz
1. Das versicherte Risiko einer Betriebshaftpflichtversicherung und dessen Begrenzung sind durch Auslegung des Versicherungsscheins und der Versicherungsbedingungen zu ermitteln.
2. Soweit der Versicherungsvertrag keine andere Regelung vorsieht, sind von dem versicherten Risiko auch Schäden umfasst, die in Zusammenhang einer strafbaren oder ordnungswidrigen Handlung eintreten, wenn diese Handlung dem Betrieb des Versicherungsnehmers dient und der konkrete Schaden nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde.
3. Die fahrlässige Körperverletzung eines Dritten durch den Versicherungsnehmer, die bei Gelegenheit der Schlachtung eines Rinds für den Betrieb der Fleischerei des Versicherungsnehmers unter vorsätzlicher Missachtung tierschutz-, lebensmittel- und waffenrechtlicher Regelungen erfolgt, kann von dem Versicherungsschutz umfasst sein.
OLG Jena, Urt. v. 26.7.2019 – 4 U 50/19
Sachverhalt
Der Kl., der Inhaber einer Fleischerei ist, unterhielt bei der Bekl. eine Gewerbehaftpflichtversicherung. In dem Versicherungsschein waren als "Betriebsart/Betriebsbeschreibung" die Begriffe "Fleischerei/Metzgerei/Schlachterei" aufgeführt. Das versicherte "Betriebs- und Berufshaftpflichtrisiko" wurde weiter wie folgt definiert: "für die gesetzliche Haftpflicht privatrechtlichen Inhalts des Versicherungsnehmers aus seinen sich aus der Betriebsbeschreibung ergebenden Eigenschaften, Rechtsverhältnissen und Tätigkeiten."
In den Versicherungsbedingungen der Bekl. finden sich in Abschnitt A folgende Regelungen:
"1.1 Gegenstand der Versicherung, Versicherungsfall"
1.1.1 Versichert ist der im Versicherungsschein angegebene Betrieb mit seinen sich daraus ergebenden Eigenschaften, Rechtsverhältnissen und Tätigkeiten.
1.2. Versichertes Risiko
1.2.1 Der Versicherungsschutz umfasst die gesetzliche Haftpflicht
(1) aus den im Versicherungsschein angegebenen Risiken des Versicherungsnehmers;
1.8 Risikobegrenzung
1.8.1 Ausgenommen von der Versicherung ist die Haftpflicht
1.8.1.1 aus Tätigkeiten, die weder dem versicherten Betrieb oder dem Beruf eigen noch sonst dem versicherten Risiko zuzurechnen sind; …“
Am 18.8.2016 begab sich der Kl. zu dem Landwirtschaftsbetrieb H. K., um dort einen Rinderbullen zu schlachten. Um das Tier zu betäuben bzw. zu töten, setzte der Kl. statt der mitgebrachten Bolzenschussgeräte eine ebenfalls von ihm mitgeführte und geladene Pistole ein, für die er keine waffenrechtliche Erlaubnis besaß. Nach dem Schuss auf das Tier steckte der Kl. die noch geladene Pistole in die Brusttasche seiner Jacke. Wenig später fiel ihm diese beim Bücken über das betäubte Tier aus der Tasche auf den Boden, wobei sich ein Schuss löste, das Projektil einen Beschäftigten des Landwirtschaftsbetriebs, den Zeugen U. S., traf und diesen schwer verletzte. In dem Strafverfahren vor dem AGM wurde der Kl. wegen des Ausübens der tatsächlichen Gewalt und des Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie wegen der fahrlässigen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil die Bekl. sich auf die vertragliche Risikobegrenzung in Ziffer 1.8.1.1 ihrer allgemeinen Haftpflichtbestimmungen i.V.m. Ziff. 1.1.1 des Versicherungsscheins berufen könne. Die schadensverursachende Tätigkeit des Kl. gehöre nicht mehr zu dem nach diesen Klauseln versicherten Risiko. Der Kl. habe keine Konzession in Form eines Sachkundenachweises für die Betäubung eines Tiers durch einen Pistolenschuss gehabt. Ferner habe er keine waffenrechtliche Erlaubnis besessen. Das Mitführen und der Einsatz der Pistole seien daher keine Tätigkeiten gewesen, die dem Versicherungsschutz unterfallen würden.
2 Aus den Gründen:
"… 2. Dem Kl. steht ein Anspruch auf Versicherungsleistungen aus dem Versicherungsvertrag i.V.m. §§ 100, 102 VVG zu."
a) Die Parteien haben sich nicht gegen gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen des LG gewandt. (…)
b) Das haftungsauslösende Tun des Kl. steht in einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit seinem Betrieb, weshalb die Vertragsbestimmungen zu der Betriebshaftpflichtversicherung und nicht der Privathaftpflichtversicherung zur Anwendung kommen (vgl. zu dieser Abgrenzung: BGH, NJW-RR 1989, 218). Die Betäubung, Tötung und Schlachtung eines Rinds dienen offenkundig unmittelbar dem Betrieb einer “Fleischerei/Metzgerei/Schlachterei', so wie dieser in dem Versicherungsschein umschrieben wurde. Es ist von der Bekl. nicht vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, dass dieser Vorgang für den Landwirtschaftsbetrieb des H. K. erfolgte, etwa zum Zweck der Selbstversorgung oder Selbstvermarktung (Hausschlachtung), und der Kl. insoweit lediglich aus Gefälligkeit gehandelt hat.
c) Das Handeln des Kl., bei dem es zur Verletzung des Zeugen gekommen ist, also die Betäubung und Tötung des Rinds durch den Schuss aus der von ihm mitgeführten Pistole sowie die nachfolgende Vornahme der Entblutung, ist von dem versicherten Risiko umfasst.
aa) Von der Abgrenzung der Betriebshaftpflicht zu...