Die Entscheidung des BVerfG hat praktische Bedeutung für alle Gerichtsbarkeiten, in denen sich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem höheren Rechtszug in direkter oder – wie hier – in entsprechender Anwendung nach § 119 Abs. 1 S 1 und 2 ZPO richtet. Hat der Gegner das Rechtsmittel eingelegt, ist gem. § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint. Diese Regelung, die nebenbei gesagt auch die Arbeit des höheren Gerichts erleichtert, sollte eigentlich allen Richtern, die in einem höheren Rechtszug tätig sind und die im übrigen auch meist eine höhere Besoldung als die Richter in der ersten Instanz erhalten, bekannt sein. Es ist ein Trauerspiel, dass das LSG Baden-Württemberg hier die einschlägigen Vorschriften für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Rechtsmittelverfahren nicht kennt und erst das BVerfG die Sache wieder zurechtrücken muss. Gerade in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle um Prozesskostenhilfe nachgesucht wird, sollten die Gerichte die grundlegenden Vorschriften für die Gewährung von Prozesskostenhilfe kennen und auch richtig anwenden.
Aufgrund der Regelung des § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO begründet die Entscheidung der Vorinstanz allerdings lediglich eine Art Vermutung dafür, dass die Verteidigung gegen ein Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 119 ZPO Rn 19). Deshalb kann diese Vermutung im Einzelfall nicht eingreifen, so dass die Versagung der Prozesskostenhilfe im Anwendungsbereich des § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht unter allen denkbaren Umständen ausgeschlossen ist (OLG Frankfurt NJW-RR 1997, 1084 mit Anm. Egon Schneider ZAP Fach 13, 489). Entschließt sich jedoch das Rechtsmittelgericht, die Vorschrift des § 119 S. 2 ZPO gegen ihren Wortlaut auszulegen, dann muss es seine Entscheidung auch im Einzelnen begründen (OLG Frankfurt, a.a.O. und das BVerfG hier). Ohne eine derartige, ins einzelne gehende Begründung stellt sich die Entscheidung als objektive Missachtung des Gesetzeswortlauts dar und ist deshalb aus verfassungsrechtlicher Sicht objektiv willkürlich, sodass, worauf das BVerfG hier zutreffend hinweist, eine Grundrechtsverletzung zulasten der bedürftigen Partei vorliegt.
VorsRiLG a.D. Heinz Hansens
zfs 12/2020, S. 708 - 709