VVG § 28 Abs. 2, Abs. 3
Leitsatz
Für die Frage der Leistungsfreiheit des VR kommt es nicht darauf an, ob die Obliegenheitsverletzung abstrakt-generell geeignet war, die Interessen des VN zu gefährden. Entscheidend ist, ob dem VR durch die Obliegenheitsverletzung des – nicht arglistig handelnden – VN im konkreten Fall ein in Geld messbarer Nachteil entstanden ist.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 4.7.2011 – 5 U 27/11
Sachverhalt
Die KI. zeigte gegenüber der Polizei und der Bekl., seinem Kaskoversicherer, an, dass sein Pkw in der Nacht vom 11. auf den 12.3.2009 vom privaten Grundstück des Geschäftsführers der Komplementärin K., einem Kfz-Meister und dessen Frau, durch Unbekannte entwendet worden sei.
Gegenüber dem nach der Fahrzeugentwendung ermittelnden Polizeibeamten sowie bei der schriftlichen Schadensmeldung am 16.3.2009, der weiteren Schadensanzeige vom 20.3.2009 sowie in dem Fragebogen zur Schadensbearbeitung vom 20.3.2009 gegenüber der Bekl. wurde von den Eheleuten K. die Laufleistung des Fahrzeugs jeweils mit "ca. 22.000 km" angegeben. Ferner hatte K. in dem Fragebogen zur Schadensbearbeitung am 20.3.2009 angegeben, dass zwei Fahrzeugschlüssel beim Kauf ausgehändigt worden seien, wobei tatsächlich ein weiterer dritter Schlüssel, bei dem es sich um den so genannten "Geldbörsenschlüssel" handelt, vorhanden war. Dieser wurde von der KI. nachträglich der Bekl. übermittelt. Auf die Frage "Wann wurde das Fahrzeug abgestellt und weshalb" wurde "11.3.2009, 22.30 Uhr" angegeben, während sich aufgrund der Schlüsseluntersuchung ergab, dass der letzte Startvorgang mit dem ersten Schlüssel um 18.01 Uhr und mit dem zweiten Schlüssel um 11.15 Uhr erfolgt war.
Die Bekl. lehnte eine Schadensregulierung infolge von Obliegenheitsverletzungen ab, insb. weil die Laufleistung des Pkw nach Auslesung der Fahrzeugschlüssel 38.969 km betragen habe und damit die von der KI. angegebene Laufleistung deutlich überschritten sei.
2 Aus den Gründen:
“… Das LG hat einen Anspruch der KI. in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme abzüglich Selbstbeteiligung zu Recht bejaht.
2. Die Bekl. ist vorliegend auch nicht aufgrund einer Verletzung von Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls leistungsfrei geworden (§ 28 Abs. 2 VVG), Voraussetzung hierfür ist, dass die KI. mindestens grob fahrlässig oder aber vorsätzlich ihre Aufklärungspflicht verletzt hat, indem sie falsche Angaben gemacht hat. Hinsichtlich der Angaben zum dritten Fahrzeugschlüssel sowie dem Zeitpunkt der letzten Benutzung und Abstellen des Fahrzeugs kann dahinstehen, ob ein vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverstoß vorliegt. Denn diese Umstände hatten ersichtlich keinen Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg der polizeilichen Fahndung oder aber die Feststellungen der Bekl. zum Vorliegen eines Versicherungsfalls oder die Höhe der Versicherungsleistung. Soweit K. unzweifelhaft objektiv falsche Angaben hinsichtlich der Laufleistung des Pkw gemacht hat, liegt eine Obliegenheitsverletzung grds. vor. Eine derartige Obliegenheitsverletzung ist auch grds. geeignet, Auswirkungen auf das Regulierungsverhalten der Bekl., also die Feststellungen zum Umfang der Versicherungsleistung zu haben. Es kann hier aber dahinstehen, ob dieses Verhalten als grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich anzusehen ist. Denn die KI. hat den Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 S. 1 WG erbracht, sodass die Bekl. vorliegend nicht leistungsfrei geworden ist.
Es ist rechtlich unerheblich, ob seitens der Bekl. bereits Berechnungen zum Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs durchgeführt wurden, welche zu einem höheren Wert geführt haben, bevor der Bekl. der zutreffende Zählerstand bekannt war. Jedenfalls noch vor der endgültigen Entscheidung über die auszuzahlende Versicherungssumme war der Bekl. aufgrund der Auslesung der Schlüssel die höhere Fahrleistung und damit auch die Herabsetzung des Wiederbeschaffungswerts bekannt, sodass sie die Auswirkung der höheren Fahrleistung ohne Weiteres berücksichtigen konnte. Die Obliegenheitsverletzung ist daher ohne Auswirkung geblieben, der Bekl. ist durch das Verhalten der KI. keinerlei Nachteil entstanden.
Entgegen der Auffassung der Bekl. kommt es im Rahmen des § 28 Abs. 3 S. 1 VVG gerade nicht mehr auf eine generelle Geeignetheit an, Versicherungsinteressen zu gefährden. Ebenso wenig ist der Schutzzweck der Obliegenheit zu berücksichtigen. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist allein darauf abzustellen, ob sich die Obliegenheitsverletzung objektiv ausgewirkt hat oder nicht. Die Vorraussetzungen für eine Leistungsfreiheit wurden nach dem Wortlaut durch die Neufassung des VVG wesentlich geändert. Die Relevanzrechtsprechung des BGH beruhte auf der Erwägung, die völlige Leistungsfreiheit des VN und damit das Alles-oder-nichts-Prinzip sei bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen, die folglos geblieben sind, eine zu harte Strafe für den VN. Durch die Anwendung der Grundsätze der Relevanzrechtsprechung würde hier die ursprüngliche Intention der Relevanzrechtsprechung, die harte Sankt...