SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen der gemeinsamen Betriebsstätte.
BGH, Urt. v. 11.10.2011 – VI ZR 248/10
Sachverhalt
Der Kl., ein bei der Streithelferin angestellter Schiffbauer, hat materiellen Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht des Bekl. für die Folgen eines Unfalls geltend gemacht. Der Bekl. ist Eigner eines Binnenschiffs "MS V.", das seit dem 20.11.2006 zur Durchführung von Arbeiten auf der Werft der Streithelferin lag. Unter anderem sollte die Werft einen neuen Schiffboden aus Stahlplatten einziehen, wobei sich der Bekl. Arbeiten zur Erledigung in Eigenregie vorbehielt. Der Bekl. versuchte am 23.11.2006 gegen 8.20 Uhr die Luke über dem Lukenraum 2 mit einem Lukendeckel zu schließen. Dabei verrutschte der Lukendeckel und fiel auf den Kl., der etwa 3,5 m unterhalb der Lukenöffnung im Innenraum des Schiffes arbeitete. Der schwer verletzte Kl. erhielt Leistungen von der Berufsgenossenschaft. Der Bekl. machte geltend, den Deckel auf die Aufforderung eines Werftarbeiters geschlossen zu haben, um die Arbeiter im Lagerraum vor Regen zu schützen. Das BG hat unter Abänderung des stattgebenden Urt. des LG die Klage abgewiesen, da dem Bekl. die Haftungsprivilegierung der §§ 106 Abs. 3 Fall 3, 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII zugute komme. Die Parteien seien auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig geworden. Die Arbeiten der Parteien seien aufeinander bezogen, miteinander verknüpft und auf gegenseitige Ergänzung ausgerichtet gewesen. Die Revision des Kl., die auf die Abänderung des Berufungsurt. und Verurteilung des Bekl. gerichtet war, führte zur Aufhebung des angefochtenen Urt. und Zurückverweisung an das BG zu neuer Verhandlung.
2 Aus den Gründen:
[5] Die Annahme des BG, dem Bekl. komme das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII zugute, erweist sich als rechtsfehlerhaft.
[6] 1. Die Revision wendet sich – als ihr günstig – nicht dagegen, dass sich das BG zu den materiellen Haftungsvoraussetzungen gem. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. den §§ 249 ff. BGB nicht geäußert hat. Hierzu bestand aus Sicht des BG auch keine Veranlassung. Sie rügt jedoch mit Recht, dass das BG die Haftungsprivilegierung des Bekl. gem. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII bejaht hat.
[7] a) Zwar ist das BG zutreffend davon ausgegangen, dass die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII dem Unternehmer als Schädiger nur dann zugute kommt, wenn er im Zeitpunkt der Schädigung selbst Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung war (st. Rspr. vgl. Senatsurt. v. 3.7.2001 – VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209, 212 f.; v. 16.12.2003 – VI ZR 103/03, BGHZ 157, 213, 216; v. 25.6.2002 – VI ZR 279/01, VersR 2002, 1107; v. 29.10.2002 – VI ZR 283/01, VersR 2003, 70, 71; v. 14.9.2004 – VI ZR 32/04, VersR 2004, 1604, 1605; v. 14.6.2005 – VI ZR 25/04, VersR 2005, 1397, 1398; v. 13.3.2007 – VI ZR 178/05, VersR 2007, 948 Rn 17 und v. 17.6.2008 – VI ZR 257/06, BGHZ 177, 97 Rn 11, 17). Es hat hierzu aber keine Feststellungen getroffen; Soweit die Revisionserwiderung den Beitragsbescheid für 2009 in der Anlage zur Revisionserwiderungsschrift vorgelegt hat, besagt dieser nichts für die Versicherteneigenschaft im fraglichen Zeitraum des Jahres 2006. Auf die Frage, ob der Bescheid für 2009 in der Revisionsinstanz überhaupt zu berücksichtigen ist, kommt es schon deshalb nicht an.
[8] b) Der erkennende Senat teilt auch nicht die Auffassung des BG, dass es zum Unfall bei einer vorübergehenden betrieblichen Tätigkeit der Parteien auf einer gemeinsamen Betriebsstätte gekommen sei. Zwar legt das BG der Prüfung die zutreffende Definition der gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII zugrunde. Es gibt auch zutreffend die Merkmale wieder, die nach st. Rspr. des erkennenden Senats für die "gemeinsame" Betriebsstätte prägend sind.
[9] aa) Doch lässt das BG außer Betracht, dass im Streitfall die Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation fehlt, die die "gemeinsame" Betriebsstätte entscheidend kennzeichnet (vgl. Senatsurt. v. 23.1.2001 – VI ZR 70/00, VersR 2001, 372, 373; v. 14.9.2004 – VI ZR 32/04, a.a.O. S. 1604 f.; v. 8.6.2010 – VI ZR 147/09, VersR 2010, 1190 Rn 14, 16; v. 1.2.2011 – VI ZR 227/09, VersR 2011, 500 Rn 7 und v. 10.5.2011 – VI ZR 152/10, VersR 2011, 882 Rn 12). Die Beurteilung, ob in einer Unfallsituation eine "gemeinsame Betriebsstätte" vorlag, muss sich auf konkrete Arbeitsvorgänge beziehen (vgl. Senatsurt. v. 1.2.2011 – VI ZR 227/09, a.a.O. Rn 7 und 9). Es kommt darauf an, dass in der konkreten Unfallsituation eine gewisse Verbindung der Tätigkeiten als solchen, die sich als bewusstes Miteinander im Betriebsablauf darstellt und im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet ist, gegeben ist. Der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ist (nur) im Hinblick auf die zwischen den Tätigen verschiedener Unternehmen bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt (vgl. dazu Senatsurt. v. 16.1...