ZPO § 114 S. 1
Leitsatz
1. Bringt eine Partei keine nachvollziehbaren Sachgründe dafür vor, warum sie eine Mehrzahl von Ansprüchen nicht in einer Klage geltend macht, ist dies im Regelfall mutwillig i.S.v. § 114 S. 1 ZPO und schließt die Bewilligung von Prozesskostenaushilfe aus.
2. Dies gilt ebenso, wenn die Partei nicht plausibel erklärt, aus welchen Gründen sie einen neuen Prozess anstrengt, obwohl sie das gleiche Klageziel kostengünstiger im Wege der Erweiterung einer bereits anhängigen Klage hätte erreichen können.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 21.11.2013 – III ZA 28/13
Sachverhalt
Gegen den hiesigen ASt. des Prozesskostenhilfe-Bewilligungsverfahrens hatten Kapitalanleger in insgesamt 2441 Klagen vor dem LG Schadensersatzansprüche geltend gemacht. Wegen angeblich unangemessener Dauer dieser Rechtsstreite begehrte der ASt. beim OLG Prozesskostenhilfe für insgesamt 266 Entschädigungsverfahren nach § 198 GVG. Ferner hat der ASt. angekündigt, derartige Anträge für die insgesamt 2441 Entschädigungsklagen sukzessive anzubringen. Das OLG hat dem ASt. in einem Fall antragsgemäß Prozesskostenhilfe bewilligt, in den zunächst beantragten weiteren 265 Fällen die Anträge hingegen zurückgewiesen. Dies hat das OLG damit begründet, die gesonderte klageweise Geltendmachung der Entschädigungsansprüche sei mutwillig i.S.v. § 114 S. 1 ZPO. Die Verfolgung der Ansprüche in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufig sei bedeutend kostengünstiger.
Für die Einlegung einer Rechtsbeschwerde hiergegen hat der ASt. beim BGH die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Der BGH hat diesen Antrag zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
[8] "… II. Die für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens beantragte Prozesskostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigten Rechtsmittel keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben (§ 114 S. 1 ZPO). Das OLG hat die Anträge des ASt. auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für 265 Entschädigungsklagen im Ergebnis zu Recht als mutwillig zurückgewiesen."
[9] 1. Von der Frage der Mutwilligkeit i.S.v. § 114 S. 1 ZPO wird in erster Linie die verfahrensmäßige Geltendmachung des Anspruchs betroffen (vgl. BAG NJW 2011, 1161 = RVGreport 2011, 275 (Hansens)). Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine wirtschaftlich leistungsfähige, also nicht bedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage von ihr Abstand nehmen oder ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht und dieser Weg genauso Erfolg versprechend ist (st. Rspr., vgl. nur BGH NJW 2005, 1497 f.; BGH NZI 2011, 104 für die Teilklage eines Insolvenzverwalters; s. auch BAG a.a.O.; Hk-ZPO/Pukall, 5. Aufl., § 114 Rn 19; Musielak/Fischer, ZPO, 10. Aufl., § 114 Rn 30; Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 114 Rn 30, 34 f). Mutwilligkeit i.S.v. § 114 S. 1 ZPO liegt deshalb regelmäßig vor, wenn eine Partei keine nachvollziehbaren Sachgründe dafür vorbringt, warum sie eine Mehrzahl von Ansprüchen nicht in einer Klage geltend macht, oder nicht plausibel erklärt, aus welchen Gründen sie einen neuen Prozess anstrengt, obwohl sie das gleiche Klageziel kostengünstiger im Wege der Erweiterung einer bereits anhängigen Klage hätte erreichen können (BAG a.a.O., m.w.N.). Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Kläger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselben (Rechts-)Fragen bereits in anderen Verfahren anhängig sind (sog. unechte Musterverfahren). Er kann auf diesem Wege im Falle einer in seinem Sinne positiven Entscheidung – die ggf. erst durch das Revisionsgericht getroffen wird – vom Ausgang dieser Verfahren profitieren, ohne selbst einem (weiteren) Kostenrisiko zu unterliegen. Bei einem aus seiner Sicht negativen Ausgang des Musterverfahrens ist er nicht gehindert, sein Rechtsschutzziel im eigenen Verfahren weiter zu verfolgen (vgl. BVerfG NJW 2010, 988; Zöller/Geimer a.a.O. Rn 12a). Dieses Verständnis des Begriffs der Mutwilligkeit entspricht auch der ratio legis des § 114 S. 1 ZPO. Prozesskostenhilfe kann nur für zweckentsprechende Rechtsverfolgung beziehungsweise Rechtsverteidigung verlangt werden. Einer Partei, die auf Kosten der Allgemeinheit prozessiert, muss zugemutet werden, zulässige Maßnahmen erst dann vorzunehmen, wenn dies wirklich notwendig ist (Zöller/Geimer a.a.O., § 114 Rn 30).
[10] 2. Daran gemessen ist die Rechtsverfolgung des ASt. jedenfalls insoweit mutwillig i.S.v. § 114 S. 1 ZPO, als er beabsichtigt, sämtliche Entschädigungsprozesse getrennt und gleichzeitig zu betreiben. Da die Verfahren in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, denselben Bekl. betreffen und die Ausgangsverfahren vom LG nach “demselben Schema‘ bearbeitet wurden, kann der ASt. durch Betreiben (und ggf. Erweiterung) des Verfahrens … 1/13, in dem ihm Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, die zwischen den Parteien streitigen Fragen abschließend klären lassen. Dabei geht es insb. um die Frage, ob bei der Bestimmung der angem...