ZPO § 402 § 397; MB/KK 2009 § 1 Teil I (2)
Leitsatz
1. Hat das Gericht erster Instanz dem Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens in mündlicher Verhandlung zu Unrecht nicht entsprochen, muss das BG dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben. Anderenfalls verletzt es den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör (Fortführung des Senatsbeschl. v. 15.3.2006 – IV ZR 182/05, VersR 2006, 950 Rn 6–8).
2. Zu den Anforderungen an die Erfolgsaussichten einer alternativen Behandlungsmethode für die Beurteilung ihrer medizinischen Notwendigkeit bei un-heilbarer, lebenszerstörender Krankheit des VN (hier: Immunbehandlung eines metastasierenden Prostatakarzinoms mit dendritischen Zellen).
BGH, Beschl. v. 30.10.2013 – IV ZR 307/12
Sachverhalt
Der an einem Prostatakarzinom im fortgeschrittenen Stadium erkrankte Kl., der bei der Bekl. eine private Krankenversicherung unterhält, begehrt die Feststellung, die Bekl. müsse ihm die Kosten für eine Immuntherapie mit autologen Tumor-Antigen-geprimten dendritischen Zellen erstatten.
Vom Klinikum für angewandte Zelltherapie der Universitätsklinik S wurde dem Kl. als Behandlungs-Option eine Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen (sog. Kieler Impfstoff) angeboten. Bei dieser neuen, schulmedizinisch noch nicht etablierten und auch noch nicht vollständig erforschten Behandlungsmethode werden aus dem Blut des Patienten Monozyten entnommen, mit einer Karzinomzelllinie stimuliert und nach sechstägiger Kultivierung wieder zurückgeimpft. Ziel ist es dabei, eine Immunreaktion gegen die Tumorzellen zu induzieren und so einen Tumorregress mit fallenden Tumormarkern zu bewirken.
Die vom Kl. unter Vorlage eines Behandlungsplans und eines Kostenvoranschlags über 53.400 EUR für eine einjährige Therapie beantragte Kostenübernahme lehnte die Bekl. ab, weil diese Behandlung medizinisch nicht notwendig sei.
2 Aus den Gründen:
[8] "… II. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des Kl. hat Erfolg. Sie führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisenden Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das BG. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Kl. schon deshalb in entscheidungserheblicher Weise in seinem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), weil weder das LG noch das BG dem Antrag des Kl. auf Anhörung des Sachverständigen in mündlicher Verhandlung stattgegeben haben."
[9] 1. Nach der Rspr. des BGH kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Weiter ist unerheblich, ob das schriftliche Gutachten Mängel aufweist. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO. … Hat das Gericht erster Instanz einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung nicht entsprochen, so muss das BG dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben. … Dabei kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht.
[10] 2. Anders als das BG meint, bot der mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 21.11.2011 gestellte Antrag, den Sachverständigen in mündlicher Verhandlung anzuhören, nach den vorgenannten Maßstäben ausreichenden Anlass, den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung zu laden. (wird ausgeführt)
[12] III. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
[13] 1. Wie das BG im Ansatz zutreffend gesehen hat, knüpft § 1 Teil I (2) MB/KK 2009 bei der Beschreibung des Versicherungsfalls mit dem Begriff “medizinisch notwendige Heilbehandlung‘ – auch für den VN – erkennbar nicht an den Vertrag zwischen dem VN und dem behandelnden Arzt und die nach diesem Vertrag geschuldete medizinische Heilbehandlung an. Vielmehr wird damit ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt (Senat BGHZ 133, 208, 212 zu den insoweit gleich lautenden Bestimmungen der MB/KK 76; VersR 1978, 271 unter II 1). Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des VN und auch nicht allein auf die seines behandelnden Arztes ankommen kann (Senat BGHZ 133, 208, 212). Gegenstand der Beurteilung können nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der...