Der BGH urteilte am 30.9.2014 über die Frage des Nebeneinanders von Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechte-Verordnung und Reisepreisminderung wegen Verspätung des Rückflugs. Der Rückflug einer Pauschalreise (Kreuzfahrt) erfolgte mit 25-stündiger Verspätung. Die betroffenen Reisenden hatten vom ausführenden Luftfahrtunternehmen bereits jeweils 600 EUR nach Art. 7 Abs. 1 lit. c) der Fluggastrechte-Verordnung erhalten und machten außerdem gegenüber dem Reiseveranstalter einen Reisepreisminderungsanspruch nach § 651d Abs. 1 BGB i.H.v. 426,30 EUR geltend. Dazu entschied der BGH nun, dass es sich bei einem Anspruch auf Rückzahlung eines Teils des Reisepreises wegen Minderung aufgrund großer Verspätung des Rückfluges nach § 651d BGB um einen weitergehenden Schadensersatzanspruch nach Art. 12 Abs. 1 der Fluggastrechte-Verordnung handele. Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung seien nach der Fluggastrechte-Verordnung allen wegen großer Verspätung gewährte Ausgleichsleistungen auf den Anspruch auf Rückzahlung eines Teils des Reisepreises wegen Minderung nach § 651d BGB aufgrund derselben großen Verspätung anzurechnen. Da der Reisepreisminderungsbetrag unterhalb der bereits gezahlten Ausgleichsleistungen lag, führte die Anrechung im Ergebnis dazu, dass den betroffenen Reisenden neben der Ausgleichszahlung keine Reisepreisminderung zugesprochen wurde.
Einerseits ist dem BGH wohl grundsätzlich zuzustimmen, dass ein betroffener Reisender für ein und dasselbe "Ärgernis" nicht zweimal entschädigt werden soll. Art. 12 Abs. 1 S. 2 der Fluggastrechte-Verordnung dient der Vermeidung von Überkompensationen, die sich aus einer Kumulierung von Ansprüchen wegen derselben Position und Interessen ergeben. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechte-Verordnung und die Reisepreisminderung tatsächlich (wie vom BGH unterstellt) für dasselbe Ärgernis geleistet wird. Nach hiesigem Verständnis werden durch die Ausgleichszahlung und durch die Reisepreisminderung nämlich gerade unterschiedliche Interessen abgegolten. Die Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechtverordnung erfolgt für die unmittelbar mit der Flugverspätung verbundenen großen Unannehmlichkeiten – nach neuerer EuGH-Rechtsprechung also für die "verlorene Zeit". Demgegenüber wird eine Reisepreisminderung jedoch dafür gewährt, dass die erhaltene Reiseleistung einen geringeren Wert hat als die vertraglich geschuldete Reiseleistung. Der mindernde Reisende hat also eine "schlechtere" (bzw. andere) Reise erhalten, als er ursprünglich gebucht hatte. Die unterschiedlichen Interessen werden auch daran erkennbar, dass die Minderung immer preisabhängig ist, der Ausgleichsanspruch jedoch gerade nicht.
Anzumerken ist, dass sich das Urteil des BGH vom 30.9.2014 ausdrücklich auf eine Rückflugverspätung bezieht. Ob der BGH bei einer Hinflugverspätung genau so entschieden hätte, bleibt offen. Immerhin hätte der von einer großen Hinflugverspätung betroffenen Pauschalreisende objektiv "weniger" Urlaub (z.B. nur 6 Tage statt 7 Tagen) für den bezahlten Reisepreis erhalten. Eine dann zu leistende Reisepreisminderung wäre also noch deutlicher auf ein völlig anderes Interesse gerichtet als die Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechte-Verordnung.
Für die anwaltliche Praxis empfiehlt sich auch weiterhin, zunächst die (betragsmäßig allerdings oft unbedeutenderen) Reisepreisminderungsansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter geltend zu machen und erst danach die Ausgleichsansprüche gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen. Nach derzeit noch vorherrschender Rechtsprechung dürfte dann keine Anrechnung vorzunehmen sein.