StGB § 21 § 211 § 212 § 315c
Leitsatz
1. Die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters kann ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat.
2. Allein aufgrund der zugunsten des Angekl. angenommenen erheblichen Einschränkung des Steuerungsvermögens darf nicht ohne Weiteres auf das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geschlossen werden.
3. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht einerseits davon ausgegangen ist, dass der Angekl. wusste, dass sich seine Ehefrau neben ihm in dem Fahrzeug befand und er deren Tod billigend in Kauf nahm sowie ihre Gefährdung sogar beabsichtigte, es aber andererseits angenommen hat, der Angekl. habe deren Arg- und Wehrlosigkeit bei der Tatbegehung nicht bewusst ausgenutzt.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 31.7.2014 – 4 StR 147/14
Sachverhalt
Das LG hat den Angekl. wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt sowie Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel des Angekl. und der StA jeweils mit der Sachrüge. Sie haben keinen Erfolg.
Nach den vom LG getroffenen Feststellungen fuhr der Angekl. am 17.1.2013 mit dem von ihm gesteuerten Pkw mit mindestens 90 km/h gegen einen Baum, um sich selbst zu töten. Hierbei nahm er billigend in Kauf, dass seine Ehefrau, die neben ihm in dem Fahrzeug saß, an den Folgen der Kollision versterben könnte. Während der Angekl. schwer verletzt überlebte, verstarb seine Ehefrau kurze Zeit später an den bei dem Aufprall erlittenen Verletzungen.
Das LG hat den Sachverhalt als Totschlag in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bewertet. Es ist der Auffassung, dass das Mordmerkmal der Heimtücke nicht vorliege, da Zweifel daran bestünden, dass der Angekl. die objektiv gegebene Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt habe. Denn er habe nicht ausschließbar den Tatentschluss in einer psychischen Ausnahmesituation spontan gefasst. Niedrige Beweggründe seien nicht gegeben, weil der Angekl. – jedenfalls nicht ausschließbar – aus Verzweiflung über seine Lebenssituation (u.a. vieljährige Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme) und aus Angst vor einer endgültigen Trennung von seiner von ihm geliebten Ehefrau, der drohenden Trennung von seinen Kindern und dem Verlust des ihm seit vielen Jahren vertrauten Familienlebens gehandelt habe.
2 Aus den Gründen:
[4] "… II. Das Rechtsmittel des Angekl. hat keinen Erfolg."
[5] Insb. weist die Beweiswürdigung zum Vorsatz des Angekl. hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau keinen Rechtsfehler auf. Auch ein Verstoß gegen den in-dubio-Grundsatz liegt aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift v. 16.5.2014 dargelegten Gründen nicht vor.
[6] III. Der vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revision der StA, die eine Verurteilung des Angekl. wegen – heimtückischen – Mordes erstrebt, bleibt der Erfolg ebenfalls versagt. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Zuschrift v. 16.5.2014 bemerkt der Senat:
[7] a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 12.2.2009 – 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264; v. 19.10.2011 – 1 StR 273/11 [juris Rn 24]; v. 11.12.2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Dieses Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (BGH, Beschl. v. 30.7.2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urt. v. 17.9.2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urt. v. 27.2.2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f.; v. 10.2.2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176; Beschl. v. 24.11.2009 – 1 StR 520/09, StV 2010, 287, 289 jeweils m.w.N.).
[8] Anders kann es jedoch bei “Augenblickstaten‘, insb. bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein (BGH, Urt. v. 17.9.2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg-und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insb. die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ei...