VVG § 22 § 21 Abs. 3 § 19 Abs. 2–4; BGB § 123 § 124
Leitsatz
Die in § 21 Abs. 3 VVG getroffene Fristenregelung für die Wahrnehmung der Rechte des VR aus § 19 Abs. 2 bis 4 VVG ist auf die für die Arglistanfechtung geltende Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB und die Rechtsfolgen ihrer Versäumnis ohne Einfluss.
BGH, Urt. v. 25.11.2015 – IV ZR 277/14
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Rückerstattung von Versicherungsprämien für eine Lebensversicherung.
Die Kl. ist Alleinerbin ihres am 13.8.2013 verstorbenen Ehemannes, zu dessen Gunsten seine letzte Arbeitgeberin bei der Bekl. eine Gruppen-Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung unterhielt, die bei Berufsunfähigkeit des Versicherten eine Beitragsbefreiung in der Hauptversicherung vorsah. Der schon seit 1994 zugunsten des Ehemannes bei der Bekl. von zwei früheren Arbeitgebern unterhaltene Lebensversicherungsvertrag wurde zum 1.3.2002 aus Anlass des neuerlichen Arbeitgeberwechsels in die Gruppenversicherung der neuen Arbeitgeberin überführt und dabei um die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung erweitert. Dazu führte die Bekl. eine Risikoprüfung durch, in deren Rahmen der Ehemann der Kl. die ihm im Februar 2002 schriftlich gestellten Fragen der Bekl. nach gesundheitlichen Störungen sämtlich verneinte, obwohl er zu dieser Zeit bereits an Morbus Parkinson erkrankt war.
Am 5.4.2002 stellte die Bekl. den Versicherungsschein aus. Ab August 2008 war der Ehemann der Kl. infolge eines Gehirntumors, nachfolgender Rezidivbildungen und seiner fortschreitenden Parkinson-Erkrankung bis zu seinem Tode berufsunfähig. Im Januar 2012 machte er bei der Bekl. erstmals Leistungsansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend, wobei er angab, seit 1990 an Morbus Parkinson und seit Juli 2008 an dem Gehirntumor erkrankt zu sein. Mit Schreiben vom 18.7.2012 focht die Bekl. ihre Vertragserklärung zum Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung wegen arglistiger Täuschung an und lehnte eine Beitragsfreistellung des Versicherten in der Lebensversicherung ab.
Die Kl., deren Klage auf Beitragsrückerstattung aus einem weiteren Lebensversicherungsvertrag mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung vor dem BG erfolgreich gewesen ist, fordert die Rückerstattung der in der Zeit von August 2008 bis August 2013 für die Lebensversicherung entrichteten Prämien i.H.v. insgesamt 6.040,20 EUR, ferner darauf entfallende Zinsen und vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten. Sie bestreitet, dass ihr Ehemann die Bekl. arglistig getäuscht habe und hält deren Anfechtungserklärung für verspätet.
2 Aus den Gründen:
[9] "… I. Das BG hat die Arglistanfechtung für wirksam und die Bekl. deshalb nicht zur Beitragsfreistellung verpflichtet angesehen. Der Ehemann der Kl. habe aus Anlass der Risikoprüfung bei Übertragung des Lebensversicherungsvertrages und dessen Erweiterung um die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung seine Anzeigenobliegenheit aus § 16 Abs. 1 S. 1, 3 VVG a.F. arglistig verletzt, indem er die Parkinson-Erkrankung vorsätzlich verschwiegen habe. Ihm sei dabei bewusst gewesen, jedenfalls die Entschließung der Bekl. zur für ihn vorteilhaften Vertragsübernahme zu beeinflussen, weshalb es unerheblich sei, ob er was die Kl. bestreitet auch Kenntnis vom Abschluss der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gehabt habe."
[10] Zwar sei die Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB nicht eingehalten, nachdem die angefochtene Vertragserklärung am 5.4.2002 abgegeben und die Arglistanfechtung erst am 18.7.2012 erklärt worden sei. Das hindere die Wirksamkeit der Anfechtungserklärung aber nicht, weil § 21 Abs. 3 VVG eine vom allgemeinen Recht abweichende, speziellere Regelung enthalte. Der Gesetzgeber habe sich dort nicht auf die in § 21 Abs. 3 S. 1 VVG geregelte Fünfjahresfrist beschränkt, wenn der Versicherungsfall bereits vor deren Ablauf eintrete. Abs. 3 S. 2 der Vorschrift erweitere die fünfjährige Frist auf zehn Jahre, wenn das Rücktritts- oder Kündigungsrecht des VR auf vorsätzlichem oder wie hier – arglistigem Verhalten des VN gründe. Dabei erfordere der Schutzzweck des § 21 Abs. 3 S. 1 VVG, dass auch die Zehnjahresfrist aus Satz 2 der Regelung nur dann Ausschlusswirkung entfalte, wenn nicht der Versicherungsfall vor Fristablauf eingetreten sei.
[11] Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, müsse diese Einschränkung der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 21 Abs. 3 S. 2 VVG erst recht für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gelten. Ermögliche das Gesetz die Ausübung des Rücktrittsrechts nach mehr als zehn Jahren, so müsse dies auch für die auf Arglist gestützte Anfechtungserklärung gelten. Dieser Rechtsgedanke aus § 21 Abs. 3 VVG n.F. sei hier heranzuziehen, obwohl die Vertragsänderung aus dem Jahre 2002 noch nach altem Versicherungsvertragsgesetz zu beurteilen sei.
[12] II. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
[13] Die Kl. hat aus § 812 Abs. 1 S. 1, Alt. 1 BGB einen Anspruch auf Rückerstattung der in den Monaten August 2008 bis August 2013 für den Hauptvertrag (Lebensversicherung) entrichteten Prämien. Deren Zahlung is...