RVG § 34 Abs. 1 S. 2; BGB § 315 § 316
Leitsatz
1. Hat der Rechtsanwalt mit dem Mandanten für eine Beratung keine Vergütungsvereinbarung getroffen, bestimmt der Anwalt die angemessene Vergütung nach billigem Ermessen unter Beachtung der §§ 315, 316 BGB.
2. Allein die Tatsache, dass der Rechtsanwalt die Höchstgebühr von 190 EUR bestimmt hat, lässt keinen Rückschluss zu, dass er sein Ermessen nicht ausgeübt habe.
3. Die Beratung muss auch nicht zwingend günstiger sein als die Führung eines Geschäftes. Es gibt keine Regelung, wonach nur eine 0,65 Gebühr abgerechnet werden darf.
(Leitsätze der Schriftleitung)
AG Siegburg, Urt. v. 4.9.2015 – 105 C 34/15
Sachverhalt
Der (spätere) Kl. ließ sich anwaltlich über die Folgen eines Verkehrsunfalls beraten. Dabei ging es insb. um die Frage, ob ein Anscheinsbeweis entkräftet werden könne. Der Schaden am Fahrzeug (wohl des Kl.) belief sich auf etwa 2.000 bis 3.000 EUR. In der Kanzlei des Rechtsanwalts fanden zwei Gespräche statt. Außerdem hat der Anwalt ergänzende Informationen beim Haftpflichtversicherer des Kl. eingeholt. Insgesamt hat der Anwalt für die gesamte Tätigkeit einen Zeitaufwand von mindestens einer Stunde gehabt.
Für diese Tätigkeit berechnete der Anwalt dem Kl. folgende Vergütung:
1. |
Beratungsgebühr, § 34 Abs. 1 S. 2 RVG |
190,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
39,90 EUR |
|
Summe: |
249,90 EUR |
Aufgrund des mit der Bekl. geschlossenen Versicherungsvertrages hatte diese gegenüber dem Kl. erklärt, die anfallenden Kosten für eine Beratung zu übernehmen. Der Kl. verlangte von der Versicherung die Freistellung von diesen Anwaltskosten. Die Bekl. hat die Vergütung als überhöht angesehen. Sie hat geltend gemacht, der Rechtsanwalt habe nur eine 0,65 Gebühr abrechnen dürfen.
Die Freistellungsklage des Kl. hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … Die Forderung ist auch der Höhe nach begründet. Der Ansatz der maximal zulässigen Erstberatungsgebühr i.H.v. 190 EUR nebst Pauschale für Post und Telekommunikation und Mehrwertsteuer war angesichts des Umfangs der Sache, die sich auch aus den im hiesigen Verfahren vorgelegten Unterlagen ergibt, angemessen. Mangels Vergütungsvereinbarung richtet sich die Höhe der geschuldeten Vergütung nach § 34 Abs. 1 S. 2 BGB (richtig: RVG). Danach richtet sich die Höhe der vereinbarten Vergütung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, mithin nach § 612 Abs. 2 BGB. Es gilt die übliche Vereinbarung, da eine Taxe für die geltend gemachte Beratungsgebühr nicht gegeben ist. Das RVG beinhaltet gerade keine Gebührenvorschrift mehr für die außergerichtliche Beratung (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, § 34 Rn 57). Insofern hat der Anwalt nach billigem Ermessen eine angemessene Vergütung unter Rückgriff auf §§ 315, 316 BGB festzulegen (vgl. vgl. Mayer/Kroiß, a.a.O., § 34 Rn 70). Dieses Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt."
Die Tatsache alleine, dass die Höchstgebühr von 190 EUR berechnet wurde, lässt den Rückschluss, dass ein Ermessen nicht angewandt wurde, nicht zu. Die Beratung muss auch nicht zwingend günstiger sein, als die Führung eines Geschäfts, da es sich gerade nicht um ein weniger handelt. Eine entsprechende Regelung, wonach nur eine 0,65 Gebühr abgerechnet werden dürfte, ist gerade nicht gegeben. Entgegen der Ansicht der Bekl. liegen Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit im vorliegenden konkreten Einzelfall nicht im unterdurchschnittlichen Bereich. Es fanden zwei Gespräche in der Kanzlei des Anwalts statt. Zudem wurden ergänzende Informationen beim Haftpflichtversicherer des Kl. eingeholt. Auch ist ein Zeitaufwand von mindestens einer Stunde vor dem Hintergrund der konkret durchgeführten Tätigkeiten angemessen. Die Würdigung eines Verkehrsunfalls – insb. die Frage, ob ein Anscheinsbeweis entkräftet werden kann – kann nicht als besonders einfach erachtet werden.
Der Streitwert war ebenfalls im Rahmen der Bestimmung des Haftungsrisikos zu berücksichtigen. Dabei wurde ermessensfehlerfrei im Hinblick auf den Schaden im Frontbereich des Fahrzeugs von einem Gegenstandswert von 2.000 EUR bis 3.000 EUR ausgegangen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass nach § 23 Abs. 3 RVG im Zweifel sogar von einem Gegenstandswert in Höhe von 5.000 EUR ausgegangen werden könnte. Dies wäre ggf. anders zu bewerten, wenn es sich um einen Bagatellschaden gehandelt hätte. Dies behauptet die Bekl. jedoch gar nicht. Unter Berücksichtigung und Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Beurteilungskriterien sind die angesetzten 190 EUR pro Stunde nicht überzogen.
3 Anmerkung:
Ich halte die Entscheidung im Ergebnis für zutreffend. Das AG hat es sich allerdings bei der Begründung etwas einfach gemacht.
I. Gebühr für Beratung
Hat der Rechtsanwalt mit dem Auftraggeber nicht – wie in § 34 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt – eine Gebührenvereinbarung getroffen, erhält der Anwalt gem. § 34 Abs. 1 S. 2 RVG "Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts", wobei hier auf die Bestimmungen der § 315, 316 BGB abzustellen ist. Geschuldet wird deshalb die übliche Gebühr unter Berücksichtigung der Umstände des Einz...