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Anknüpfend an den Vorjahresaufsatz (zfs 2015, 70–76) werden in dem vorliegenden Artikel die Entwicklungen innerhalb des Kalenderjahres 2015 aus verschiedenen Bereichen des Reiserechts zusammengefasst. Dabei werden insbesondere die Leitentscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs, aber auch einzelne Entscheidungen der Instanzgerichte aus Sicht des Praktikers vorgestellt und in ihrem Zusammenhang erläutert. Auf aktuelle Vertiefungsliteratur sowie auf bevorstehende Rechtsänderungen wird jeweils hingewiesen.
A. Pauschalreiserecht
Wenn sich ein Reiseveranstalter gegenüber einem Reisenden verpflichtet, eine Gesamtheit von – mehreren – Reiseleistungen ("Reise") zu erbringen, liegt nach geltender Gesetzesdefinition ein (Pauschal-)Reisevertrag vor. Pauschalreisen beinhalten die Kombination der unterschiedlichsten Verkehrsmittel und Unterkunftsarten. Die Spanne reicht von einfachen Niedrigpreisangeboten bis hin zu den edelsten Luxus-Kreuzfahrten. Entsprechend vielfältig sind die aktuellen Entwicklungen zum Pauschalreiserecht bzw. Reisevertragsrecht der §§ 651a bis 651m BGB.
I. Routenänderung bei Kreuzfahrten
Das AG München entschied mit Urt. v. 26.3.2015, dass eine nachträgliche Änderung der Reiseroute durch ein Kreuzfahrtunternehmen zu einem Minderungsanspruch führen kann. Gebucht worden war eine Schwarzmeer-Kreuzfahrt. Die Route wurde dann aber durch den Veranstalter "aufgrund der aktuellen politischen Situation" und kurzfristig noch wegen des "schlechten Wetterberichts für das Schwarze Meer" geändert. Letztlich verlief die Kreuzfahrt dann ausschließlich durch das östliche Mittelmeer. Das Gericht führt in dem Urteil aus: Eine Kreuzfahrt ist eine Mischung aus kulturellen und landschaftlichen Höhepunkten, gepaart mit der Besonderheit der ständigen Fortbewegung auf dem Meer. Bei einer Kreuzfahrt, die ursprünglich in das Schwarze Meer führen sollte, tatsächlich aber nur im östlichen Mittelmeer durchgeführt worden ist, wird der Gesamtcharakter der Kreuzfahrt entsprechend geändert. Daher ist der Minderungsanspruch auf den Gesamtreisepreis (und nicht nur auf den Tagespreis der ausgefallenen Landgänge) vorzunehmen. Der Minderungsanspruch entfällt auch nicht wegen höherer Gewalt (politische Unruhe mit Kriegszuständen in der Ukraine und schlechtes Wetter). Denn auch höhere Gewalt beeinträchtigt die Einstandspflicht des Reiseveranstalters während der ungekündigten Reise nicht. Das Gericht sprach dem Kläger eine Minderung von 30 Prozent des Reisepreises zu.
II. Reiserücktritt wegen höherer Gewalt
Wird eine Reise infolge bei Vertragsabschluss nicht voraussehbarer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt, so können sowohl der Reiseveranstalter als auch der Reisende den Vertrag nach § 651j BGB kündigen. Ein Ehepaar hatte im Juni 2014 für April 2015 eine Rundreise nach Marokko gebucht. Einige Monate vor Reisebeginn trat das Ehepaar wegen der gesamtpolitischen Lage zurück. Diese Lage habe sich nach Meinung des Ehepaares wegen der dramatischen und nicht vorhersehbaren Terroraktionen seit der Buchung der Reise geändert. Der Reiseveranstalter berechnete daraufhin eine Stornogebühr in Höhe der bereits geleisteten Anzahlung von 20 % des Reisepreises. Das Ehepaar klagte auf Rückzahlung der Anzahlung, weil bei einer Kündigung wegen höherer Gewalt gemäß § 651j BGB keine Stornogebühr zu zahlen ist. Dazu entschied das AG München, dass die allgemein bekannte Terrorgefahr in den Ländern des sog. "arabischen Frühlings" in der Regel keinen Reiserücktritt wegen höherer Gewalt rechtfertigt. Die erhöhte Gefahr terroristischer Anschläge mit islamistischem Hintergrund besteht in sämtlichen nordafrikanischen Ländern bereits seit Jahren, insbesondere seit der zunehmenden Destabilisierung Libyens. Die Problematik war also schon lange vor der Buchung bekannt. Von höherer Gewalt ist das allg...