1. Die Nichtbeachtung der Haftungsprivilegierung bei Schädigungen auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ist ein vermeidbarer kostenauslösender ärgerlicher Irrtum bei dem zwangsläufig scheiternden Versuch der Durchsetzung eines vermeintlichen Schadensersatzanspruchs. Ausgangspunkt ist die Bestimmung des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII, die anordnet, dass Versicherte mehrerer Unternehmen, die vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsame Betriebsstätte verrichten, das aus §§ 104, 105 SGB VII folgende Haftungsprivileg genießen. Die seit dem 1.1.1997 geltende Haftungsprivilegierung lässt sich weder wie andere Regelungen in den §§ 104, 105 SGB VII auf die beabsichtigte Wahrung des Betriebsfriedens noch auf die Haftungsersetzung durch unternehmensfinanzierte Leistungen der Unfallversicherung zurückführen. Tragfähig ist allein die Ableitung aus einer begründeten Gefahrengemeinschaft, bei der jeder der in enger Berührung miteinander Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und Geschädigten werden kann (vgl. BGH VersR 2001, 1028, 1029; Stöhr, VersR 2004, 809, 812 m.w.N.). Das ist dann der Fall, wenn die Beiträge der hierbei Tätigen bewusst und gewollt ineinandergreifen, verknüpft sind und sich ergänzen (vgl. BGH zfs 2015, 260; BGH zfs 2012, 79; BGH zfs 2008, 380). Anhaltspunkte für die Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte sind folgende Umstände:
(1) Haben die Parteien bei der Erbringung ihrer Tatbeiträge einander aufgrund einer – auch stillschweigend – erfolgten Absprache deshalb unterstützt, weil sie das bezweckte Gesamtergebnis ihrer Tätigkeiten nicht allein erreichen konnten (vgl. BGH VersR 2001, 1156)?
(2) War eine Verständigung über den Arbeitsablauf notwendig, um die gleichzeitige störungsfreie Ausführung der Arbeiten der Beteiligten zu ermöglichen (vgl. BGH VersR 2003, 904)?
Grundlage dieser Absprache ist es zu verhindern, dass sich die Beteiligten bei ihren Tätigkeiten "in die Quere kommen" und so je nach der Zufälligkeit der Schadensentstehung Schädiger oder Geschädigter werden können (vgl. BGH VersR 2001, 1028, 1029; BGH VersR 2003, 1177, 1178; Waltermann, NJW 2002, 1225, 1228 ff.; Stöhr, a.a.O. 809, 813).
Die Klärung der Frage, ob der Unfall sich auf einer gemeinsamen Betriebsstätte zugetragen hat, obliegt dem Zivilgericht (vgl. BGH VersR 2013, 440). Eine Zuständigkeit des Sozialgerichtes zur Klärung dieser Frage nach § 108 SGB VII ist ausgeschlossen (vgl. auch BGH VersR 1968, 372; BGH NZV 2008, 396).
2. Geradezu zwangsläufig ist bei den Fällen der Haftungsbefreiung nach § 106 SGB VII die Folge der Regressbehinderung durch Haftungsbeschränkung dann zu erörtern, wenn der nicht selbst auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätige Unternehmer, dessen nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII tätige Beschäftigte haftungsprivilegiert sind, in Anspruch genommen werden soll. Der Unternehmer haftet für seinen Beschäftigten, der Verrichtungsgehilfe – bei unterstellter fehlender Exkulpation – des Unternehmers ist, als Gesamtschuldner nach §§ 831, 823, 840 BGB (vgl. BGH NJW 2004, 951), wenn sich nicht aus den Grundsätzen der Behandlung der gestörten Gesamtschuld etwas anderes ergäbe. Für den Regelfall stellt sich das Vorhandensein mehrerer haftender Schädiger als "Glück im Unglück" für den Geschädigten dar (Luckey, VersR 2002, 121). Der Geschädigte hat sozusagen die freie Auswahl, welchen der ihm haftenden Schädiger er in Anspruch nehmen will. Der in Anspruch genommene Schädiger kann aufgrund der ihm zustehenden Ausgleichsansprüche nach § 426 Abs. 1 und 2 BGB Regress unter Beachtung der jeweiligen Verursachungsquoten, ggf. nach Kopfteilen, nehmen. Dieser Mechanismus ist dann gestört, wenn einer der denkbaren Gesamtschuldner aufgrund der Haftungsbefreiung – wie hier nach § 106 SGB VII nicht haftet. Es entfällt das Vorliegen einer Gesamtschuld und damit die Regressmöglichkeit. Haftungsausschlüsse und Haftungserleichterungen, die aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder aufgrund rechtsgeschäftlicher Abreden eingreifen, sind auf den Sonderfall der Regressbehinderung bei sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierungen nicht zu übertragen. Der BGH hat in dem 3-Personen-Verhältnis zwischen den Tätigen auf der gemeinsamen Betriebsstätte und dem Geschäftsherrn des haftungsbefreiten Schädigers eine Kürzung des Anspruchs gegen den Unternehmer um 100 % nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld angenommen (vgl. BGH NJW 2004, 951; ebenso BGH NZV 2005, 456, 457, BGH VersR 2005, 1397, 1398; vgl. auch Luckey, JA 2004, 587, 588; eingehend Pardey, Berechnung von Personenschäden, 5. Aufl., Teil 1 Rn 648, 656 f.).
Auf diese Weise schlägt die Haftungsbefreiung des Erstschädigers auf die Rechtsbeziehung des außerhalb der sozialrechtlichen Beziehung stehenden Geschäftsherrn zu dem Geschädigten durch.
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 2/2016, S. 82 - 84