StPO § 147
Leitsatz
Das Akteneinsichtsrecht erstreckt sich nicht nur auf sämtliche Unterlagen der Verwaltungsbehörde, die zu den Akten genommen worden sind, auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, sondern auch auf alle sonstigen verfahrensbezogenen Vorgänge, die möglicherweise bedeutsam für das Verfahren sind.
AG Jena, Beschl. v. 9.10.2015 – 3 OWi 1534/15
Sachverhalt
Das AG Jena hat die Thüringer Polizei – Zentrale Bußgeldstelle – gem. § 62 OWiG angewiesen, dem Betroffenen über seinen Verteidiger antragsgemäß in vollem Umfang ergänzende Akteneinsicht zu gewähren.
2 Aus den Gründen:
"Dem Betroffenen eines Bußgeldverfahrens steht ein umfassendes Akteneinsichtsrecht zu, das i.d.R. gem. §§ 147 StPO i.V.m. 46 Abs. 1 OWiG über seinen Verteidiger ausgeübt wird. Dieses Recht ist, sofern die Ermittlungen förmlich abgeschlossen sind (§§ 169a, 147 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 2, 61 OWiG), zwar nach Ort, Zeitpunkt und Dauer der Einsichtnahme modifizierbar, hinsichtlich seines Umfangs aber weder eingeschränkt noch beschränkbar (vgl. BVerfGE 62, 338)."
Das Einsichtsrecht erstreckt sich dabei nicht nur auf sämtliche Unterlagen der Verwaltungsbehörde, die zu den Akten genommen worden sind, auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, sondern auch auf alle sonstigen verfahrensbezogenen Vorgänge, die möglicherweise bedeutsam für das Verfahren sind. Dazu gehören insb. Auszüge aus dem Verkehrszentralregister, aber auch Ton- oder Bildaufnahmen, die ggf. auf eine vom Verteidiger einzusendende Leerkassette bzw. Diskette zu überspielen sind (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 60 Rn 49 ff.).
Eine weitere Einschränkung des Einsichtsrechts – wie teilweise in der Literatur vertreten z.B. in Bezug auf Eichurkunden, Lebensakten von technischen Messgeräten, Lehrgangsbescheinigungen des Messpersonals usw. (so Göhler, a.a.O. – ohne weiteren Nachweis) kommt nach Überzeugung des Gerichts angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht in Betracht. Die genannten Unterlagen sind – sofern sie im konkreten Fall vorhanden sind – grds. zur Beurteilung der Erfolgsaussichten eines etwaigen Einspruchs erforderlich und somit dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger zur Kenntnis zu geben, und zwar unabhängig davon, ob sie bereits Teile der Akte sind (so auch AG Bad Kissingen zfs 2006, 706).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 OWiG, § 467 StPO.“
Mitgeteilt von RA Christian Zinzow, Pirmasens
3 Anmerkung:
Die Entscheidung enthält in knapper Form genau das, was der Verteidiger im Verwaltungsverfahren erwarten darf: vollständige Einsicht in die Akte und alle sonstigen Bestandteile, die dazu dienen können, den dem Betroffenen gemachten Vorwurf zu prüfen. Ob das dann auf § 147 StPO oder (ergänzend) auf Art. 6 EMRK zu stützen ist, kann letzten Endes nicht ausschlaggebend sein.
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 2/2016, S. 114 - 115