AUB 2008 Nr. 2.1.1.1. 9.1. 9.4
Leitsatz
1. Für die Erstbemessung der Invalidität kommt es hinsichtlich Grund und Höhe grds. auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist an (hier: 18 Monate).
2. Der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ist nur maßgebend dafür, ob sich rückschauend bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Invaliditätseintrittsfrist (Ziff. 2.1.1.1 AUB) bessere tatsächliche Einsichten zu den Prognosegrundlagen bezüglich des Eintritts der Invalidität und ihres Grades eröffnen.
BGH, Urt. v. 18.11.2015 – IV ZR 124/15
Sachverhalt
Die Kl. nimmt den Bekl. auf Rückzahlung geleisteter Invaliditätsentschädigung in Anspruch. Zwischen den Parteien besteht gem. Versicherungsschein vom 18.12.2006 ein Vertrag über eine private Unfallversicherung. Diesem liegen AUB 2003 zugrunde. In deren Ziff. 2.1 ist unter Invaliditätsleistung u.a. geregelt:
"2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung:"
2.1.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).
Die Invalidität ist
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innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall eingetreten und |
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innerhalb von 21 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.“ |
Der Bekl. erlitt am 28.4.2007 einen Unfall, als er bei Reparaturarbeiten am Dach eines Gebäudes abstürzte, und stellte bei der Kl. einen Leistungsantrag. Diese leistete ausweislich ihres Schreibens vom 14.1.2010 Vorschusszahlungen i.H.v. 86.719,50 EUR an den Bekl., die sie auf der Basis 1/10 Beinwert links, 1/3 Handwert rechts sowie 2/7 Armwert links und damit nach einem Gesamtinvaliditätsgrad von 52,53 % (nach Progression: 82,59 %) berechnete. Zugleich wies sie darauf hin, den gezahlten Betrag zurückzufordern, wenn die abschließende Untersuchung ergeben sollte, dass der Vorschuss zu hoch bemessen war. Nach weiteren ärztlichen Untersuchungen, zuletzt am 14.6.2010, setzte die Kl. den unfallbedingten Invaliditätsgrad mit Schreiben vom 22.7.2010 auf 43,5 % (nach Progression: 62,0 %) fest unter Berücksichtigung von 3/10 Armwert links und 3/10 Handwert rechts. Ferner forderte sie den überzahlten Vorschuss i.H.v. 21.619,50 EUR vom Bekl. zurück.
Das LG hat ein Sachverständigengutachten zum Invaliditätsgrad des Bekl. zum 28.4.2010 eingeholt. Mit Urt. v. 28.5.2014 hat es den Bekl. verurteilt, an die Kl. 18.469,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.3.2012 zu zahlen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Bekl. zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt er weiter eine Abweisung der Klage.
2 Aus den Gründen:
[6] "… Die Revision des Bekl. hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache."
[7] I. Das BG, dessen Urteil in zfs 2015, 456 (m. Anm. Rixecker) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, zwar handele es sich entgegen der Auffassung des LG nicht um eine Neubemessung, sondern um die abschließende Erstbemessung der Invalidität. Dies führe aber nicht dazu, dass hinsichtlich des Gesundheitszustands des Bekl. auf einen anderen Zeitpunkt als den durch den gerichtlichen Sachverständigen begutachteten (28.4.2010) abzustellen sei. Auch wenn für die gerichtliche Überprüfung der Erstfeststellung der Invalidität die in Ziff. 9.4 AUB 2003 hinsichtlich der Neubemessung festgelegte Dreijahresfrist für die ärztliche Bemessung der Invalidität nicht gelte, sei in einem Rechtsstreit der Ablauf dieser Dreijahresfrist der maßgebliche Zeitpunkt für die Festlegung des Ausmaßes einer etwaigen Invalidität, wenn der VR in der Dreijahresfrist wiederholt Vorschusszahlungen erbracht und sich vor Fristablauf nicht zur endgültigen Erstbemessung in der Lage gesehen habe. Die Regelung in Ziff. 9.4 AUB 2003 diene dem Interesse des VN an einem alsbaldigen Erhalt einer Invaliditätsleistung. Zugleich solle verhindert werden, dass die abschließende Bemessung der Invalidität auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben werde. Vor dem Hintergrund dieses Regelungszwecks sei es nicht sachgerecht, wenn nach Ablauf der Dreijahresfrist eintretende Änderungen für die Invaliditätsprognose Berücksichtigung finden könnten, falls überhaupt keine Erstfestsetzung innerhalb von drei Jahren erfolgt sei. Dagegen sei es nicht interessengerecht, auf den letztlich nicht vorherbestimmbaren und weit nach Ablauf der drei Jahre liegenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Gleichfalls sei nicht der Gesundheits- und Prognosezustand im Zeitpunkt des Ablaufs der Invaliditätseintrittsfrist nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 (18 Monate) maßgeblich. Der Eintritt der Invalidität nach dieser Bestimmung setze keinen bestimmten Umfang oder schon einen bestimmten Grad der Invalidität voraus. Es genüge, wenn es überhaupt zu einer Invalidität in irgendeinem Umfang gekommen sei. Den somit maßgeblichen Gesundheitszustand des Bekl. zum Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall hätten das LG und der Sachverständige zu...