BB-BUZ § 10 Abs. 1; VVG § 174
Leitsatz
In einem Rechtsstreit darf einem VR eine Verweisung nicht mit der Begründung versagt werden, neu erworbene Fähigkeiten seien erst in einem Nachprüfungsverfahren zu berücksichtigen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 23.11.2016 – IV ZR 502/15
Sachverhalt
Der Kl. verlangt Leistungen aus einer bei der Bekl. gehaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Der Kl. lieferte seit dem Jahr 2006 als selbstständiger Handelsvertreter für ein Unternehmen Tiefkühlkost an Haushalte aus. Am 31.7.2010 hatte er einen Unfall beim Volleyballspielen. Er hat behauptet, einen dauerhaften Knorpelschaden im rechten Knie erlitten zu haben und deswegen als selbstständiger Auslieferungsfahrer berufsunfähig zu sein. Seine bisherige Berufstätigkeit stellte er nach diesem Unfall ein. Später nahm er eine neue Tätigkeit auf; zuletzt arbeitete er seit Juni 2014 als angestellter Vertriebssachbearbeiter im Innendienst. Neben ihren weiteren Einwänden gegen die Klageforderungen hat sich die Bekl. auch darauf berufen, dass der Kl. nicht berufsunfähig sei, weil er eine nach Ausbildung, Einkommen und Stellung vergleichbare Tätigkeit i.S.d. vereinbarten Versicherungsbedingungen aufgenommen habe.
2 Aus den Gründen:
[4] "… III. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Bekl. hat Erfolg. Sie führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das BG. Die Beschwerde beanstandet zu Recht, dass das BG einen Teil des Beklagtenvortrags übergangen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat."
[5] Das BG begründet die fehlende Vergleichbarkeit der früheren und der heutigen Tätigkeit des Kl. auch damit, dass der Kl. seinem Vortrag zufolge früher selbstständig mit entsprechenden Einkommens- und Entwicklungsmöglichkeiten gewesen, jetzt dagegen angestellter Sachbearbeiter im Vertrieb sei. Die Bekl. hat jedoch die Behauptung des Kl., er habe in seinem früheren Beruf größere Aufstiegschancen als bei seiner jetzigen Tätigkeit gehabt …, bestritten. Dies hat das BG nicht berücksichtigt, sondern seiner Entscheidung den bestrittenen Klägervortrag zugrunde gelegt. Feststellungen dazu, wie sich die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des Kl. real darstellten (vgl. Senat VersR 2010, 1023 Rn 11), hat es nicht getroffen.
[6] IV. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
[7] 1. Bei der Prüfung einer Verweisung des Kl. auf die inzwischen ausgeübte Tätigkeit wird das BG zu berücksichtigen haben, dass der Wechsel aus einer selbstständigen in eine angestellte Tätigkeit allein die Verweisbarkeit noch nicht ausschließt, sondern es stets einer auf den Einzelfall abgestellten Wertung bedarf, ob mit der neuen Tätigkeit ein spürbarer sozialer Abstieg verbunden ist (vgl. Senat VersR 1988, 234 unter 2 b). Nicht der einzige, aber ein nicht zu vernachlässigender Bewertungsfaktor ist hierbei die Verdienstmöglichkeit (a.a.O.). Außerdem wird das BG zu prüfen haben, ob der Kl. auf die weiteren Tätigkeiten, die er seit seinem Unfall ausgeübt hat, verwiesen werden kann.
[8] 2. Eine Verweisung des Kl. auf seine jetzt ausgeübte Tätigkeit wird das BG nicht mit der Begründung ablehnen können, dass neu erworbene Fähigkeiten nach § 10 Abs. 1 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BBUZ) erst im Nachprüfungsverfahren zu berücksichtigen seien. Da die Bekl. kein Anerkenntnis abgegeben hat, musste der Kl. seine Ansprüche im Wege der Klage geltend machen. Im Rechtsstreit ist dann zunächst der Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit zu führen. Ist danach ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Leistungspflicht gegeben, steht dem VR im selben Rechtsstreit der Beweis offen, dass und ab welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Herabsetzung oder Einstellung der Leistungen nach der für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit geltenden Versicherungsbedingung eingetreten sind (vgl. Senat r+s 2010, 251 Rn 3; VersR 1998, 173 unter 2 b und 3; VersR 1997, 436 unter II 1). Im Urteil ist dann über Beginn und Ende der Leistungspflicht zu entscheiden. …
[9] 3. Falls das BG zu dem Ergebnis kommen sollte, dass dem Kl. ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente zusteht, wird es zu beachten haben, dass nach § 3 Abs. 2 S. 4 BBUZ eine laufende Berufsunfähigkeitsrente während der Berufsunfähigkeit abgesehen von etwaigen Erhöhungen aufgrund der Überschussbeteiligung nicht erhöht wird. Damit endet die Dynamisierung im Leistungsfall.“
zfs 2/2017, S. 105 - 106