VVG § 28
Leitsatz
Beantragt ein VN bei mehreren Versicherern Leistungen aus jeweils bestehenden Unfallversicherungsverträgen und lässt er innerhalb weniger Tage in jedem der Antragsvordrucke – bei Beantwortung der übrigen Fragen – die Frage nach weiteren Unfallversicherungen unbeantwortet, so ist regelmäßig von einer vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit zu wahrheitsgemäßen Angaben durch den VN auszugehen, die zur Leistungsfreiheit des jeweiligen VR führt.
OLG Koblenz, Beschl. v. 12.4.2016 – 10 U 778/15
Sachverhalt
Die Kl. begehrt Invaliditätsleistungen aus einer bei der Bekl. unterhaltenen Unfallversicherung.
Die Kl. meldete bei der Bekl. einen Unfall v. 1./3.11.2007 und einen weiteren Unfall v. 15.11.2007. In der Unfallanzeige v. 15.6.2008 ließ die Kl. die Frage nach weiteren Unfallversicherungen unbeantwortet. Am selben Tag füllte die Kl. eine Unfallanzeige für eine weitere Unfallversicherung bei der H Versicherung aus.
Anfang des Jahres 2009 zahlte die Bekl. an die Kl. eine Invaliditätsleistung pro Daumen von 8.192 EUR für beide Unfallereignisse. Nach der Einholung eines Sachverständigengutachtens der E.-Klinik v. 26.8.2010 und eines weiteren des Dr. B v. 11.4.2011 lehnte die Bekl. mit Schreiben v. 6.1.2012 jeglichen Versicherungsschutz für beide von der Kl. gemeldeten Unfallereignisse wegen fehlenden Nachweises eines Unfallereignisses und wegen der unterlassenen Angabe des Mitversicherers H ab.
2 Aus den Gründen:
" … Im Ergebnis zu Recht hat das LG die Klage abgewiesen. Der Kl. steht kein Anspruch auf Invaliditätsleistungen aus dem bei der Bekl. unterhaltenen Unfallversicherungsvertrag für die von ihr geltend gemachten beiden Unfälle im November 2007 zu, da die Bekl. wegen einer Obliegenheitsverletzung der Kl. nicht zur Leistung verpflichtet ist."
Nach § 9 Nr. II AUB 88 hat der VN die von dem VR übersandte Unfallanzeige wahrheitsgemäß auszufüllen. Vorliegend hat die Kl. die in der Unfallanzeige der Bekl. unter Nr. 34 gestellte Frage nach weiteren Unfallversicherungen bei anderen Gesellschaften nicht beantwortet. In dem Offenlassen der Frage nach dem Bestehen weiterer Unfallversicherungen liegt das Verschweigen eines weiteren bestehenden Unfallversicherungsvertrags (vgl. BGH VersR 1982, 182).
Nach § 10 AUB 88 wird der VR bei Verletzung einer nach dem Eintritt des Versicherungsfalls ihm gegenüber zu erfüllenden Obliegenheit von der Verpflichtung zur Leistung frei, es sei denn, dass die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Vorliegend ist von einer vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit zu wahrheitsgemäßen Angaben durch die Kl. auszugehen. Die Kl. hat zwar insoweit erklärt, lediglich aus Versehen die Frage nach anderen Unfallversicherern nicht beantwortet zu haben. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zum einen erscheint bereits nicht nachvollziehbar, wenn ansonsten alle Fragen beantwortet werden, dass gerade diese Frage versehentlich nicht beantwortet worden sei. Um so weniger glaubhaft erscheint ein versehentliches Offenlassen der Frage im Hinblick darauf, dass die Kl. am selben Tage, also dem 15.6.2008, sowohl die Unfallanzeige für die Bekl. als auch für die H Versicherung gefertigt hat; angesichts dessen erscheint die behauptete versehentliche Nichtangabe der anderen Unfallversicherung bereits nicht glaubhaft. Dies gilt jedoch umso mehr, als die Kl. auch in der Unfallanzeige bei der H Versicherung gerade die Frage nach weiteren Unfallversicherungen offen gelassen hat und dies sogar zweimal, nämlich sowohl am 15.6.2008 als auch am 10.7.2008. Die dreimalige Nichtbeantwortung der Frage nach weiteren Unfallversicherern kann mit einem versehentlichen Offenlassen der Frage schlechterdings nicht mehr erklärt werden. Im Hinblick darauf muss vielmehr von einem vorsätzlichen Verschweigen der jeweils weiteren Unfallversicherung ausgegangen werden.
Die Kl. kann insoweit auch nicht mit Erfolg geltend machen, die Bekl. habe ja gesehen, dass die Frage nicht beantwortet worden sei, und deshalb bei der Kl. entsprechend Nachfrage halten können. Die Bestimmungen über die Aufklärungspflicht tragen dem Gedanken Rechnung, dass der VR, um sachgemäße Entschlüsse fassen zu können, sich darauf verlassen muss, dass der VN von sich aus richtige und lückenlose Angaben über den Versicherungsfall macht. Enttäuscht der VN dieses Vertrauen, indem er vorsätzlich Fragen des VR nicht oder nicht richtig beantwortet, so kann er sich hinterher nicht darauf berufen, dass der VR den wahren Sachverhalt von dritter Seite noch zeitig genug erfahren habe. Ebenso wenig kann der VN geltend machen, dass sich der VR die erforderlichen Informationen anderweitig hätte beschaffen können. Dies würde eine Verkennung des Wesens der Aufklärungspflicht bedeuten. Durch sie soll der Aufklärungspflichtige zur Abgabe von vollständigen und richtigen Angaben angehalten werden. Sie würde in ihr Gegenteil verkehrt und in ein Recht zur Lüge verwandelt werden, wenn der Aufklärungspflichtige ihre vorsätzliche Verletzung damit rechtfertigen könnte, dass der VR in der Lage gewesen...