VVG § 215 Abs. 1

Leitsatz

§ 215 Abs. 1 S. 1 VVG erfasst auch Klagen aus einem Versicherungsvertrag, dessen VN eine juristische Person ist, wobei auf deren Sitz i.S.d. § 17 ZPO anzustellen ist.

BGH, Urt. v. 8.11.2017 – IV ZR 551/15

Sachverhalt

Die Kl., eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Deutschland, verlangt von der Bekl., einem VR mit Sitz in Liechtenstein, aus bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung sowie aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung die Erstattung des Versicherungsbeitrags zu einer Lebensversicherung mit Vermögensverwaltung.

Die Versicherung wurde im Jahr 2004 gegen Zahlung einer Einmalprämie von 20.000 EUR abgeschlossen. VN war die R.S. Dem Versicherungsvertrag lagen AVB der Bekl. zugrunde, die folgende Regelung enthalten:

"§ 22. Wo ist der Gerichtsstand?"

(1) Ansprüche aus Ihrem Versicherungsvertrag können gegen uns bei dem für unseren Geschäftssitz örtlich zuständigen Gericht geltend gemacht werden. Ist Ihre Versicherung durch Vermittlung eines Versicherungsvertreters zustande gekommen, kann auch das Gericht des Ortes angerufen werden, an dem der Vertreter zur Zeit der Vermittlung seine gewerbliche Niederlassung oder, wenn er eine solche nicht unterhielt, seinen Wohnsitz hatte.

… “

Der Vertragsschluss wurde durch einen Versicherungsmakler vermittelt, der hierbei Informationsbroschüren verwandte. Die Kl., die angibt, jetzt VN zu sein, macht geltend, dass die Angaben in diesen Broschüren nicht ordnungsgemäß seien, weshalb die Bekl. ihr zum Schadensersatz verpflichtet sei.

Das LG hat ihre auf Prämienerstattung gerichtete Klage mangels internationaler Zuständigkeit des angerufenen Gerichts als unzulässig abgewiesen. Das OLG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

2 Aus den Gründen:

" … Die Revision hat keinen Erfolg."

I. Das BG hat in seiner angefochtenen Entscheidung (r+s 2016, 213) ausgeführt, die deutschen Gerichte seien im Streitfall international zuständig.

II. Das hält rechtlicher Überprüfung stand. Das BG hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gem. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG zu Recht bejaht.

1. Es hat richtig erkannt, dass die nationalen Zuständigkeitsvorschriften hier nicht durch die Regelungen der EuGVVO 2001 oder des Luganer Übereinkommens vom 30.10.2007 (LugÜ 2007) verdrängt werden (…) (BGHZ 210, 277 Rn 14 und […] VersR 2017, 779 Rn 12). Die internationale Zuständigkeit für die Klage ergibt sich danach mittelbar aus den nationalen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (…), hier aus § 215 Abs. 1 S. 1 VVG.

a) Die Vorschrift ist in sachlicher Hinsicht einschlägig, weil sie auch Klagen erfasst, die auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses nach Widerspruch sowie auf Schadensersatz aus Beratungsverschulden bei Anbahnung des Versicherungsvertrags – einschließlich eventueller Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren und weiteren Sinne – gerichtet sind (…).

b) § 215 Abs. 1 S. 1 VVG ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar, obgleich der Versicherungsvertrag noch vor der Reform des Versicherungsvertragsrechts abgeschlossen wurde. Wie der Senat in seinem Urt. v. 8.3.2017 (VersR 2017, 779) entschieden und eingehend begründet hat, ist die neue Gerichtsstandsregel gem. Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl I 2631) seit dem 1.1.2008 geltendes Recht, das unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses anzuwenden ist (a.a.O. Rn 23 ff.).

c) Der Anwendung von § 215 Abs. 1 S. 1 VVG steht ferner nicht entgegen, dass es sich bei der Kl., die nach ihrem der Zuständigkeitsprüfung zugrunde zu legenden Vortrag inzwischen VN ist, weder um einen Verbraucher noch um eine natürliche Person handelt.

aa) Die Norm begründet für Klagen aus dem Versicherungsvertrag die Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk der VN zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ob sie auch einschlägig ist, wenn es sich bei dem VN um eine juristische Person handelt, wird unterschiedlich beurteilt.

Dies wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Vorschrift abgelehnt, weil er eine natürliche Person voraussetze, eine juristische Person aber weder einen “Wohnsitz‘ noch einen “gewöhnlichen Aufenthalt‘ haben könne (…). Einige fordern überdies, dass der VN Verbraucher sein müsse (HK-VVG/Muschner, 3. Aufl. § 215 Rn 11; Grote/Schneider BB 2007, 2689, 2701).

Nach der Gegenansicht können auch juristische Personen VN i.S.d. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG sein (OLG Schleswig VersR 2015, 1422, 1423 f.; (…); Brand, in: Bruck/Möller, 9. Aufl. § 215 Rn 10 ff.; Rixecker, in: Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 215 Rn 2; Eichelberg, in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 215 Rn 5; (…).

bb) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG erfasst auch Klagen aus einem Versicherungsvertrag, dessen VN eine juristische Person ist, wobei auf deren Sitz i.S.d. § 17 ZPO abzustellen ist.

Zwar lässt die reine Wort...

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