VV RVG Nr. 2300, 3100, Vorbem. 3 Abs. 4; RVG § 15a
Leitsatz
Klagt der Zessionar aus abgetretenem Recht einen durch seinen Prozessbevollmächtigten namens des Zedenten vorgerichtlich geltend gemachten Anspruch ein, so ist die außergerichtlich angefallene Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV auf die im Klageverfahren anfallende Verfahrensgebühr anzurechnen.
BGH, Beschl. v. 29.11.2011 – XI ZB 16/11
Sachverhalt
Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kl. hatte im Namen der Zedentin vorgerichtlich Schadensersatzansprüche gegen die Bekl. wegen fehlerhafter Anlageberatung geltend gemacht. Hierfür berechnete der Anwalt der Zedentin eine 1,9 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG i.H.v. 3.085,19 EUR einschließlich Auslagen. Die vorgerichtlichen Bemühungen des Anwalts blieben erfolglos. Hieraufhin trat die Zedentin ihre Ansprüche an die Kl. ab, die durch denselben Rechtsanwalt vor dem LG die Ansprüche der Zedentin aus abgetretenem Recht gegen die Bekl. geltend machte. Gegenstand des Rechtsstreits waren auch die vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten i.H.v. 3.085,19 EUR. Das LG hat die Bekl. insoweit antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat das landgerichtliche Urt. in diesem Punkt bestätigt und die Kosten des Rechtsstreits der Bekl. in vollem Umfang auferlegt.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Kl. u.a. eine 1,3 Verfahrensgebühr zur Festsetzung angemeldet. Der Rechtspfleger des LG hat hierauf eine Geschäftsgebühr mit einem Gebührensatz von 0,65 angerechnet. Die gegen die Absetzung gerichtete sofortige Beschwerde der Kl. hat das OLG zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde der Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[4] "… II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im übrigen (§ 575 ZPO) zulässig. Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Beschwerdegericht die außergerichtliche Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die vom Klägervertreter verdiente Verfahrensgebühr angerechnet und dabei angenommen, die Bekl. könne sich nach § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG auf die Anrechnung berufen, weil wegen des Anspruches auf die Geschäftsgebühr bereits ein Vollstreckungstitel vorliege. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde fehlt es weder an einer ausreichenden Titulierung i.S.d. § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG (dazu unten 1.) noch scheidet eine Anrechnung mangels Gegenstandsidentität i.S.v. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG aus (dazu unten 2.)."
[5] 1. Dass § 15a RVG auf den Streitfall Anwendung findet, wird von der Rechtsbeschwerde zu Recht nicht infrage gestellt. In der Rspr. des BGH ist mittlerweile geklärt, dass sich die Anrechnungsvorschrift des § 15a RVG auch in Kostenfestsetzungsverfahren, die vor Inkrafttreten des § 15a RVG entstandene Gebühren betreffen, grds. nicht auswirkt, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr vielmehr nur unter den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Voraussetzungen stattfindet (BGH NJW 2009, 3101; NJW 2010, 1375; JurBüro 2010, 358: JurBüro 2010, 471; JurBüro 2011, 22; AGS 2010, 473; RVGreport 2011, 27 (Hansens) und NJW 2011, 861).
[6] Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind im Streitfall die Voraussetzungen, unter denen sich der kostenpflichtige Prozessgegner nach § 15a Abs. 2 RVG auf die Anrechnung berufen kann, aber erfüllt. Das Urt. des OLG stellt einen die Anrechnung gem. § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG rechtfertigenden Vollstreckungstitel bezüglich der Geschäftsgebühr dar. Die Rechtsbeschwerde kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, der Vollstreckungstitel weise keine exakte Bezifferung des Anspruchs aus. Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn der Begriff “Geschäftsgebühr' weder im landgerichtlichen Urt. noch im Berufungsurt. ausdrücklich genannt wird, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die vom Klägervertreter verdiente vorgerichtliche Geschäftsgebühr dort tituliert worden ist. Anders als in dem von der Rechtsbeschwerde zum Beleg ihrer Auffassung zitierten Beschl. des VI. ZS des BGH RVGreport 2011, 65 (Hansens) = AGS 2011, 6 = NJW 2011, 861 fehlt es im Streitfall nicht an einer betragsmäßigen Bezifferung des Anspruchs. Vielmehr sind hier die vorgerichtlichen Anwaltskosten im landgerichtlichen Tenor und bestätigend im oberlandesgerichtlichen Tenor jeweils betragsmäßig i.H.v. 3.085,19 EUR gesondert tituliert. Im Tatbestand des landgerichtlichen Urt., auf den das BG Bezug genommen hat, ist hierzu ausgeführt, die Zedentin habe wegen der vergeblichen vorgerichtlichen Inanspruchnahme der Bekl. Rechtsanwaltsgebühren für den klägerischen Prozessbevollmächtigten in der titulierten Höhe aufgewandt. Aus den Urteilsgründen beider Urt. folgt, dass die Kl. den Betrag als Schadensersatz für die vorprozessual entstandenen Anwaltskosten verlangen könne, wobei ausweislich des landgerichtlichen Urt. unter Bezugnahme auf die die Geschäftsgebühr ausweisende Gebührenrechnung ausdrücklich die der Zedentin in Rechnung gestellte 1,9-fache Gebühr unbeanstandet blieb. Anders als in dem vom VI. ZS entschiedenen Fall, der einen Prozessvergleich betraf, aus dem sich nicht entnehmen ließ, in wel...